Zu Besuch bei echten Nomaden.

Da standen wir also mit unseren zwei Autos. Mitten im Nirgendwo im Norden Namibias. Nachdem wir am Vorabend unsere Zelte an einem unerwartet schönen Platz aufschlagen konnten, haben wir über Nacht neue Kräfte getankt. Einen Blick auf die Landkarte gab es dann am nächsten Morgen und wir versuchten realistisch einzuschätzen, ob wir an dieser Stelle umdrehen sollten oder ob das Rückkehren vielleicht sogar gefährlicher ist als das Weiterfahren. Nach einem großen Schluck Kaffee waren wir uns aber alle einig darüber, dass der Schlimmste Teil des Abschnitts mit dem vorangegangenen Tag geschafft sein müsste, denn der höchste Berg war überwunden. Es konnte also tendenziell eher immer nur weiter nach unten gehen, was uns weniger Sorge bereitete, als die steilen, schwierigen Stücke aufwärts zurück zu fahren.

Mit der Hoffnung im Hinterkopf, an diesem Tag den Campingplatz in Purros zu erreichen, den wir eigentlich am Vortag schon erreichen wollten, starteten wir also unseren zweiten Fahrtag im Kaokoland. Und glücklicherweise stellte sich der Weg ab dem Übernachtungsplatz als deutlich einfacher befahrbar heraus als bisher.

Die Kulisse um uns herum veränderte sich von schroffen Steinen, über hohe Gebirgszüge hin zu blühenden Blumenwiesen. Immer wieder überquerten wir trockene Flussbetten und gelangten nach vielen Kilometern auf eine Hochebene, auf der uns sogar Giraffen und Zebras kreuzten. Eine unbeschreibliche Gegend, die so abgeschieden gelegen ist und trotzdem so viel Leben zu bieten hat. Nun waren es nur noch wenige Kilometer bis zu unserem nächsten Übernachtungs-Stop. Auf unserem Weg trafen wir noch auf zwei weitere Reisende aus Deutschland (wie so häufig in Namibia), die uns einen sogenannten „Kai“ für eine Tour in die Himba-Dörfer empfohlen. Mit diesem Tipp im Gepäck und einem weiteren kurzen Halt an einem Wüsten-Kiosk, der sogar kühles Bier im Angebot hatte, kamen wir am Nachmittag in Purros an. Und diesen Ort, kann man mit keinem Wort besser beschreiben, als mit: OASE. Berge, Palmen und Wasserstellen mitten in der Wüstenlandschaft. Alles wirkte etwas ausgestorben und wir folgten den letzten Sandspuren, die wir finden konnten. Ein freundlicher Herr winkte uns zu sich und wie könnte es anders sein: es war Kai (eigentlich Kavisina), der uns auf seinem Campingplatz willkommen hieß. Da die eigentlichen Campingplätze gerade nicht mit Wasser versorgt sind, ließ er uns an einem der Chalets übernachten, in dem wir das Bad mitbenutzten durften. Ähnlich wie in Botswana, kann man an solch abgelegenen Orten in Namibia für solche Chalets und Lodges ein Vermögen ausgeben.

Wir unterhielten uns kurz mit Kai und berichteten ihm von der Empfehlung, die wir auf dem Weg zu ihm bekommen haben und vereinbarten, uns am nächsten Morgen für einen Ausflug in ein noch bestehendes Himba-Dorf zu treffen. Da Kai selbst in einem solchen Dorf aufwuchs und gleichzeitig perfektes Englisch spricht, war es die ideale Gelegenheit für uns, nochmal mit mehr Hintergrund-Wissen einen so traditionellen Stamm zu besuchen.

Nach unserem morgendlichen Kaffee starteten wir also zu einem Aussichtspunkt in Purros, von dem aus Kai uns erklärte, wie sich das Dorf über die Jahre entwickelt hat, welchen Jahreszeiten es ausgesetzt ist und welche Herausforderungen es hier allgemein gibt. Von diesem Punkt aus konnten wir bereits das kleine Himba-Dorf erkennen, das wir als nächstes ansteuerten. Auf dem Weg dorthin war unsere Frage vor allem, wie wir uns in dem Dorf verhalten sollten und ob es irgendwelche „no go‘s“ gibt. Kai führte uns kurz in einige Regeln ein, die wir beachten sollten, bevor er das Familienoberhaupt des Stammes um Erlaubnis fragte, uns das Dorf zu zeigen. Nach einer kurzen Unterhaltung wurden wir dann willkommen geheißen.

Vorsichtig traten wir in das von Holz umzäunte, kreisförmige Dorf ein. In der Mitte des Himba-Kreises befindet sich der eigentliche „Kraal“, also das Gehege für das für die Himba heilige Vieh, das zu dieser Zeit mit den Männern des Stammes auf Futtersuche ist. Um den Kraal herum befinden sich unterschiedliche Hütten. Eine große Hütte für das Familienoberhaupt mit seiner ersten Frau, daneben weitere Hütten von seiner zweiten und dritten Frau (eine einzige Frau wäre natürlich nicht ausreichend…). Alle Hütten bestehen aus Ästen und Kuh-Dung (=Kuhscheiße). Dieser wird mit Erde und Wasser angemischt und daraus dann die Masse für die Wände geformt. Das Dach wird teilweise noch mit Stroh bedeckt. Zwischen der Hütte des Familienoberhauptes und dem Tier-Kraal befindet sich das heilige Feuer. Dieses ist für die Himba-Familie von höchster Bedeutung und dient als Sammelpunkt für traditionelle Zeremonien wie Hochzeiten oder die Feier zur Geschlechtsreife der Frauen. Es ist Besuchern strengstens verboten, den Bereich zwischen der Hütte, dem Kraal und dem Feuer zu durchqueren. Sie würden so die Verbindung zwischen dem Volk und ihrem Gott zerstören. Und man glaubt gar nicht, wie oft man intuitiv versehentlich genau diesen Weg kreuzen möchte, um „mal eben schnell die Kamera zu holen“. Glücklicherweise hat Kai uns immer rechtzeitig davon abgehalten, die Himbas (oder uns?) in Schwierigkeiten zu bringen.

Wir fühlten uns ein wenig in eine andere Zeit zurück versetzt oder als würden wir hier gerade in einem lebendem Museum stehen, in dem uns Menschen veranschaulichen wollen, wie die Stammes-Angehörigen hier vor mehreren hundert Jahren gelebt haben. Aber für die Himbas hier ist das Leben noch immer Realität. Kai erzählt uns, dass der Alltag hier zwar hart ist und viele Herausforderungen birgt, aber die Familien kennen es eben nicht anders und möchten ihre Tradition fortsetzen. Kai selbst hingegen hat sich damals für einen anderen Weg entschieden, besuchte die Schule bis zum Abitur und lebt heute nicht mehr in der Tradition, sondert leitet zwei Campingplätze in der Region.

Die einzelnen Dorfbewohnerinnen demonstrieren uns, wie sie sich jeden Tag herrichten. Ihre rot schimmernde Haut erzeugen sie durch das einschmieren mit einer Paste aus rotbraunen Ocker-Steinen, Harz, Myrrhe und Fett. Aus ihrer Sicht verschönern sie sich dadurch nicht nur, sondern sind gleichzeitig vor Sonne, Austrocknung der Haut und Insektenstichen geschützt. Auch die auffällige Haartracht der Frauen wird mit dieser Masse zu langen Zöpfen geformt. An den Frisuren der kleinen Jungen und Mädchen lässt sich ürbrigens auch das Geschlecht erkennen. Die Mädchen tragen die Zöpfe bis zur Geschlechtsreife nach vorne, die Jungen nach hinten. Zusätzlich tragen die Himba-Frauen Schürzen aus Kuh- oder Ziegenleder und Fell. Hände und Füße werden mit Messingringen geziert. Auch Schmuck aus Leder, Holz oder Muscheln darf nicht fehlen und hat neben der Optik auch symbolische Bedeutung.

Von so viel Tradition sind wir natürlich überwältigt und Kai übersetzt all unsere Fragen, die wir an die freundlichen Bewohner haben. Caro hat sogar die Ehre, die Tracht einmal anzuprobieren. Zwei Himba-Frauen sind dabei nicht zimperlich, ihr auch das „Make-Up“ aufzutragen. Kai geht davon aus, dass ein Teil der Himba-Angehörigen sicher weiterhin viele Jahre so ursprünglich im abgelegenen Norden des Landes leben wird. Durch die nachkommenden jungen Generationen wird sich die Tradition aber wohl immer weiter mit der Moderne vermischen, glaubt er. Für uns war es eine wirklich einmalige Erfahrung, einen Einblick in die Welt dieses indigenen Volkes zu bekommen. Vor allem, weil genau diese Völker (und die der Herero) vor vielen hundert Jahren unter den deutschen Kolonialtruppen gelitten haben, hätte man uns hier nicht so herzlich willkommen heißen müssen, denken wir. Mehr als 80.000 Menschen wurden damals getötet oder verdursteten in der Wüste. Zu Recht fordern die Gruppen in Namibia weitere Verhandlungen zu „Reparationszahlungen“, die im vergangenen Jahr erstmals geleistet wurden.

Nach vier Tagen im Kaokoland haben wir mal wieder Lust auf etwas mehr Leben. Entlang der Skeleton Coast, die für viele gestrandete Schiffe aus der Vergangenheit aber auch etliche Tierskelette bekannt ist, steuern wir die Küstenstadt Swakopmund an. Der aus der Antarktis kommende kalte Benguelastrom ist übrigens die Ursache für die direkt am Strand beginnende Küstenwüste. Rechts von uns begann also irgendwann das schroffe Meer, während sich links von uns riesige Dünenlandschaften auftürmten. Sogar Hyänen, Löwen und Elefanten leben hier noch in freier Natur. Nach einem platten Reifen auf halber Strecke und einer Zwischenübernachtung kamen wir am folgenden Mittag in Swakopmund an. Die Stadt wurde 1892 von deutschen Kolonisten gegründet und zeigt noch heute viele deutsche Hinterlassenschaften in Form von Straßen— oder Hotelnamen auf. Weil wir hier bereits einige Tage verbracht haben und uns die Stadt so besonders gut gefallen hat, gönnten wir uns einen gemütlichen Abend im Restaurant und genossen unseren luxuriösen Campingplatz mit eigenem Bad bei der “alten Brücke”.

Für den letzten Abschnitt unserer gemeinsamen Reise stand nur noch eins auf der Liste: Sand. Und zwar in rauen Mengen. Von unseren letzten gemeinsamen Tagen und vor allem unseren letzten Tagen auf dem afrikanischen Kontinent und unserem finalen Resumé berichten wir beim nächsten Mal.

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Ein Meer aus Sand.

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Lendenschurz und Fotohandy.