Zwischen Großem und Kleinem Kaukasus.

Von der regnerischen Schwarzmeerküste der Türkei war es unser Ziel, die Georgische Hafenstadt Batumi gegen Nachmittag zu erreichen. Der Grenzübergang wurde zwar von einer schier endlos langen Schlange von LKWs begleitet, verlief für uns aber problemlos und schnell. Auf der georgischen Seite der Grenze konnten wir bereits durch riesige LED-Wände die Solidarität des Landes mit der Ukraine wahrnehmen: „Be Brave Like Ukraine“ („Sei tapfer wie die Ukraine“) oder „Ukraine: Home of the Brave“ („Ukraine: Heimat der Tapferen“). Entlang der Küste des schwarzen Meeres fuhren wir ungefähr drei Stunden, bis wir pünktlich am Nachmittag die Stadt erreichten.

Die Stadt Batumi gilt im Land als eine Art „Las Vegas am schwarzen Meer“. Bis zur Corona-Pandemie nutzten viele Menschen aus Russland oder der Türkei den Ort, um dem im eigenen Land verbotenen Glücksspiel zu verfallen. Die im Stadtbild deutlich präsenten großen Hotelketten tragen ebenfalls zu dem Eindruck bei, dass der Tourismus hier mal geboomt haben muss. Für uns wirkte die Stadt jedoch nahezu ausgestorben. Die Strandpromenade eingestaubt, die Restaurants teilweise noch geschlossen und so gut wie keine Badegäste an dem auch eher tristen Kiesstrand. Auf den Straßen hingegen tummelten sich etliche Autos mit ukrainischen, aber auch russischen Kennzeichen. Wir haben uns zwar mit der russisch-georgischen Geschichte auseinandergesetzt, jedoch genau deshalb gerade jetzt nicht mit russischen „Gästen“ gerechnet.

Seit dem August-Krieg gegen Russland im Jahr 2008 ist das Verhältnis zwischen den beiden Ländern noch konfliktbehafteter als zuvor. Mit der Unabhängigkeitserklärung Georgiens 1918 wurde die Region Ossetien aufgeteilt, der nördliche Teil kam zu Russland, der südliche Teil wurde Georgien zugeteilt. Mit der Entstehung der Sowjetunion wurde Südossetien dann ab 1922 ein autonomes Gebiet innerhalb der georgischen Sowjetrepublik. Ähnliches gilt für den abgespaltenen Bereich Abchasien in Georgien, der seit 1931 ein autonomes Gebiet innerhalb Georgiens bildet. Nachdem Georgien im Jahr 2008 eine Offensive zur Rückgewinnung der Kontrolle der durch Russland besetzten Gebiete versuchte, eskalierte die Situation gewaltsam. Die autonomen Gebiete bestehen jedoch bis heute. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine fürchten die Georgier nun erneut eine Angriffsoffensive. Umso mehr ist verständlich, dass Russinnen und Russen derzeit nicht gern in Georgien gesehen werden. Dennoch sind seit Beginn des Krieges mehrere Zehntausende in das Nachbarland geflohen.

Wir hatten den Eindruck, die derzeitige Spannung im Land mitfühlen zu können. Vor allem im Vergleich zur aufgeschlossenen, herzlichen Türkei, deren Einwohner derzeit auch alles andere als leichte Zeiten durchmachen, sahen wir in Georgien eher in traurige, abweisende und geschaffte Gesichter. Oftmals wurde unser Grüßen nicht erwidert oder man fragte sich zuallererst, ob wir aus Russland kämen. War dieses Missverständnis erstmal aus dem Weg geräumt, wurden wir dann mehrere Male freudestrahlend mit „Heil Hitler!“ begrüßt. Für uns auch nicht die korrekte Weise, deutsche Touristen heutzutage zu begrüßen, aber immerhin hatten unsere Gesprächspartner dann ein Lächeln im Gesicht. Mal mit, mal ohne Zähne.

Die erste Region, die wir während unseres vierwöchigen Aufenthalts bereisten, war der südliche Kaukasus bzw. der kleine Kaukasus. Als Teil von georgischem, armenischem und aserbaidschanischen Territorium ist er mit unterschiedlichen Gebirgen verkettet und bildet mit dem Aragaz auf 4.090 Metern seinen höchsten Punkt. Die Straßenverhältnisse auf unseren ersten Metern abseits der wenigen geteerten Straßen gaben schon hier einen groben Ausblick darauf, welche Gegebenheiten noch auf uns warten würden.

Ohne ein Offroad-taugliches Fahrzeug würden wir jedenfalls nicht nach Georgien zurückkehren. Nicht mal, um uns nur auf der Hauptverbindungsstrecke zu bewegen (es sei denn, es ist ein Mietwagen). Nach unseren ersten Tagen in den Bergen, die uns unsere gewünschte Abkühlung von der Hitze der südlichen Türkei definitiv erfüllt haben, ging es für uns in Richtung Norden nach Kutaissi, wo wir uns am Abend mit einer Bekanntschaft aus Mardin getroffen haben. Javi, der eigentlich mit seiner Freundin Gosia auf dem Motorrad in Richtung Australien aufgebrochen ist, reist aufgrund des Heimatbesuchs seiner Freundin für vier Wochen allein. Und weil wir uns gedacht haben, dass er sich sicher auch mal über Gesellschaft freuen würde, haben wir uns für die Erkundung des nordwestlichen Teils verabredet.

Nach einer regnerischen Nacht steuerten wir das kleine Dorf Mazeri an, um unsere erste Nacht auf dem Weg in den großen Kaukasus zu verbringen. Am Fuße des Bergs Uschba genossen wir die Ruhe und wunderschöne Natur Georgiens und entschlossen uns, noch eine weitere Nacht zu bleiben, um den Gletscher der Region am nächsten Tag zu besteigen. Hätten wir vorher gewusst, wie geschafft wir am Abend nach der siebenstündigen Wanderung sein würden, hätten wir uns sicher für eine Abkürzung entschieden. Nichtsdestotrotz konnten wir den wunderschönen Blick auf das Tal genießen und uns gleichzeitig mal wieder sportlich verausgaben. Und so nah waren wir der russischen Grenze noch nie, denn die Bergketten des großen Kaukasus bilden die Grenze zu Russland.

Der nächste Tag sollte uns zum UNESCO-Weltkulturerbe Mestia bringen, ein auf 1.500 Meter hoch gelegenes Bergdorf und Ausgangspunkt für viele Wanderungen in der Region Swanetien. Die Stadt ist nur wenige Monate im Sommer mit dem Geländewagen zu erreichen, da es erst spät im Jahr erst befahrbar und relativ früh im Jahr aufgrund der kalten Wetterverhältnisse mit starkem Schneefall nicht mehr befahrbar ist. Und wir hatten großes Glück, denn alle Bergpässe des Landes wurden erst kurz vor unserer Ankunft im Juni vollends geräumt. Die malerisch aussehenden Wehrtürme des Dorfes sind ungefähr 25 Meter hoch und teilweise bis zu 500 Jahre alt. Unseren Schlafplatz fanden wir ungefähr 46 Kilometer weiter in Uschguli, auf 2.200 Metern gelegen.

Mit dem Wetter hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt großes Glück, denn wir konnten zwei nahezu regenfreie Tage mit wunderschönem Panorama auf die Berge vor der russischen Grenze genießen. Von hier an jedoch goss es – wie man so schön sagt – für mehr als eine Woche lang „aus Eimern“. In weiser Voraussicht nutzen wir die Gelegenheit für eine kleine Reisepause und quartierten uns mit Javi in einem typisch georgischen Guesthouse ein. Zufälligerweise war der Ort einer der bedeutendsten Kurorte der Sowjetunion und ein Großteil der Gebäude sind zwar verlassen, jedoch in einem guten Zustand.

Wir nutzen die Zeit und tauschten uns über unsere weiteren Pläne aus, nahmen kleinere Reparaturen an Auto und Motorrad vor und kochten gemeinsam. Das Dreiergespann funktionierte so gut, dass wir uns entschlossen, die letzte Bergroute noch zusammen zu fahren.

Eigentlich planten wir entlang der bekannten georgischen Heerstraße, die wichtigste Nord-Süd-Verbindung des Landes, nach Stepanzminda weiterzufahren. Auch hier ist die Grenze zu Russland nicht mehr weit, nur noch 12 Kilometer sind es bis zum Grenzübergang Larsi. Doch kurz bevor wir uns aus Richtung Tiflis aus hoch in den Norden begeben wollten, wurden wir von der Polizei ausgebremst. Und nicht nur wir. Etliche weitere Reisende parkten am Straßenrand und mussten umdrehen, denn eine wichtige Hauptverbindungsbrücke wurde durch den Tage anhaltenden Regen weggespült. Wann es denn wohl weitergehen könnte, fragen wir den Polizisten. „Frühestens in zehn Tagen!“ vermittelte er uns in undeutlicher Zeichensprache und wir tauschten uns mit anderen Reisenden aus. Wir waren uns schnell einig, was wir stattdessen ansteuern wollten und mit dem Abano-Pass, „Georgiens gefährlichster Straße“, sollte es doch auch nicht langweilig werden. Nach einem Zwischenstopp über Nacht kurz vor Beginn des Passes ging es mit frischer Energie los. Mit 2.862 Metern Höhe ist der Abano Pass einer der höchsten in ganz Georgien und es sind 38 Kilometer insgesamt 2.400 Höhenmetern bis zur Passhöhe. Javi fuhr mit seinem Motorrad voraus, wir hinterher. Seine Wendigkeit mit seiner Reise-Enduro war bei den engen und steilen Passagen definitiv ein Vorteil, jedoch wurden wir bei den Wasser-Durchfahrten nicht nass. Oben angekommen schlugen wir unsere Zelte auf einem Waldhügel auf und mussten nach dem Abendessen wieder mal schnell in unseren Zelten flüchten, um dem Regen zu entfliehen. Es folgte eine Nacht mit einem stundenlang anhaltenden Gewitter, das einfach nicht von der Stelle weichen wollte. Dass es im Juni in Georgien noch so viele Regentage gibt, hätten wir wirklich nicht erwartet. Etwas unausgeschlafen wollten wir es uns am nächsten Tag aber nicht entgehen lassen, die kleinen Bergdörfer rund um Omalo zu erkunden. Um rechtzeitig zur Abenddämmerung wieder vom Pass abfahren zu können, machten wir uns gegen Mittag wieder auf den Rückweg.                              

Nach knapp vier gemeinsamen Wochen mit Javi war es an der Zeit, Abschied zu nehmen. Wir mussten uns langsam auf den Weg nach Armenien machen und Javi noch einige organisatorische Dinge erledigen, bevor es für ihn und seine Freundin weitergeht. In Tiflis, Georgiens Hauptstadt im Süden, verbrachten wir noch zwei sonnige Tage in einem kleinen Apartment. Insgeheim war die Stadt sogar eines unserer Highlights und bestimmt eine der schönsten Städte der bisherigen Reise. Obwohl die Hauptstadt Georgiens mit einer Million Einwohnern die größte des Landes ist, herrschte für uns kein stressiger Großstadt-Fler. Seit Jahrhunderten ist die Stadt für ihre Heilbäder bekannt und von drei Seiten von Bergen umgeben, was ihren besonderen Charme für uns ausmacht.

Im Gesamteindruck haben wir das erste Mal unterschiedliche Meinungen vom bereisten Land. Julians allgemeiner Eindruck ist sehr positiv, Caro spürt einen faden Beigeschmack beim Reisen durchs Land. Irgendwie fühlten wir uns nicht ständig willkommen, sind nur sehr schwer ins Gespräch mit Einheimischen gekommen und noch dazu hatten wir mehr als die Hälfte unserer Zeit mit leichtem bis sehr starkem Regen zu tun. Bei Reisen mit Zelt kann das schon sehr nervig sein und Pläne werden häufig durchkreuzt. Nach Tiflis hingegen würden wir beide jederzeit wieder reisen. Dann vielleicht doch mit dem Abstecher nach Stepanzminda, den wir bislang auslassen mussten.

Route in Georgien, Stand 04.07.22. Quelle: Gaia GPS / MapBox / Open Street Map.

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Transit Armenien.

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Eine Liebeserklärung an die Türkei.