Am Ziel angekommen.

Nach knapp 18 Monaten und 45.000 Fahrkilometern seit unserer Abreise, erreichten wir Anfang Oktober Indien. Das über neunmal so große Land wie Deutschland war zu Beginn unserer Reise aufgrund vieler geschlossener Grenzen durch die Pandemie noch unerreichbar. Über die Monate hinweg entwickelte sich die sogenannte “größte Demokratie der Welt” zum Ziel und östlichsten Punkt unserer eineinhalb jährigen Reise.

Ein Ziel, das wir uns zu Beginn, im Juni 2021, niemals zu erreichen erträumt hätten. Zum Zeitpunkt unseres Losfahrens ging es bis vor wenigen Monaten lediglich bis nach Georgien. Der Iran öffnete die Grenzen erst zum Jahresbeginn 2022. Und obwohl die Landesgrenze von Pakistan nach Indien offiziell noch immer nicht geöffnet ist, haben wir es geschafft, einzureisen. Die Ausreise aus Pakistan fällt uns leicht, da wir wissen, dass wir hier in ein paar Wochen wieder hin zurückkehren werden. Auch der Prozess verläuft schnell, schließlich wollen und können hier täglich nicht wirklich viele Touristen die Grenze überqueren. Sehr absurd, dass wir aus einem so fernen Land anreisen und im Handumdrehen zur Grenze weitergeleitet werden, während ein Großteil der pakistanischen Passhalter nur im Ausnahmefall ein Visum erhalten können. Nach erfolgreicher Ausreise machen wir uns auf Transitboden auf dem Weg zur Einreise nach Indien. Die indische Flagge imponiert uns schon aus der Ferne und lässt die Vorfreude steigen. Kurzerhand wird uns ein Grenzbeamter auf dem Fahrrad zur Seite gestellt, der uns von nun an durch die gesamte Einreise begleitet. Von der persönlichen Sicherheitskontrolle, über die Visa- und Passkontrolle hin zur Zolleinheit für das Einführen des Autos. Nicht länger als eine gute Stunde müssen wir hierfür aufbringen und auch die Untersuchung des Fahrzeugs gleicht eher einem interessiertem „oh, hier wohnt ihr also und reist um die Welt?“ als einer Kontrolle nach unerlaubten Gegenständen zur Einfuhr.

Pünktlich vor der Grenz-Zeremonie dürfen wir endlich einreisen und machen uns schnell auf den Weg zum bereits überfüllten Parkplatz in der Nähe der Grenze. Dort angekommen, kamen uns etliche Inder entgegen, die uns Flaggen verkaufen wollten, uns mit den Flaggenfarben auf den Armen bemalten, bevor wir uns gegen diese Körperverschönerung wehren konnten. Es gab viel Lärm, Musik und unendlich viele Menschen, die sich auf den Weg zur Arena begaben, in der sich Indien und Pakistan jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang demonstrativ gegenüberstehen. Auf unseren Plätzen angekommen waren wir umgeben von schreienden, jubelnden Menschen mit schwenkenden Fahnen. Angetrieben von einem Offizier, der die Masse mit nationalistischen Rufen anheizt: „Industan zindabad!“, was so viel heißt wie „Lang lebe Indien!“. Die pakistanische Seite wirkt auf uns viel bodenständiger. Eine stolze Nation, die sich nicht zu sehr aufspielen möchte. Wir fühlen uns komisch, nach einer so einer beeindruckenden Zeit in Pakistan plötzlich auf der Gegenseite zu sitzen.

Diese ganze Zeremonie basiert auf Feindseligkeiten. Zwei Nationen, die einst eins waren, bekämpfen sich jetzt, seit sie sich getrennt haben. Einige Cheerleader auf der indischen Seite lassen die ganze Situation wie ein Fußball- oder Cricketspiel aussehen. Wir lasen die Worte "Indiens erste Verteidigungslinie". Wogegen sie sich verteidigen wollen, ist uns nicht ganz klar. Die Inder wirken auf uns viel nationalistischer und lauter als die Pakistanis. Die Tribünen auf der indischen Seite sind auch viel größer als auf der pakistanischen Seite. Es ist ein einziges großes Spektakel, wer besser, größer, stärker ist. Ein bisschen lächerlich wirkt diese Veranstaltung auf uns schon. Man stelle sich vor, wie es aussehen würde, wenn dies die deutsch-niederländische Grenze wäre. Ein Mann kommt vorbei und bietet Getränke an, ein anderer Eis und eine weiterer nochmals Flaggen. Als ob wir uns ein Cricketspiel ansehen würden. Die Zeremonie begann schließlich damit, dass derjenige, der den längsten Atemzug hat, einen Laut von sich gibt. Und da kommen die großen Männer herein. Wir sind uns sicher, dass sie alle großen Männer Pakistans sowie Indiens für diesen Job zusammengetrommelt haben. Mit adretten Uniformen und pechschwarzen Bärten. Auf beiden Seiten sind auch Frauen unter den Offizieren. Auf der pakistanischen Seite tragen sie ein Kopftuch, auf der indischen eine Kappe mit strengem Dutt. Die Männer gehen mit gezielten Stechschritten aufeinander zu und werfen auf halbem Weg die Beine in die Luft. Am Ende der Zeremonie, die eigentlich nur darin besteht, aufeinander zuzugehen, die Beine anzuheben und den Schnurrbart zu berühren, gibt es einen festen Händedruck. Das Tor schließt sich und die Zeremonie ist vorbei. Willkommen in Indien!

Wir sind froh, dass unsere europäischen Grenzen offen sind - für Menschen, die sich innerhalb der Grenzen aufhalten und einen europäischen Pass besitzen, versteht sich.

Die Stadt Amritsar, die sich unweit hinter der Grenze befindet, war unsere erste Anlaufstelle in Indien. Hier verbrachten wir unsere ersten Nächte, um uns zunächst mit einigen organisatorischen Dingen auseinanderzusetzen. Auf dem Weg dorthin bot sich uns ein deutlich anderes Bild als in Pakistan. Caro brach in Freude aus, als sie endlich auch mal wieder Frauen am Steuer sah: „Guck mal, da fährt eine Frau!“. Ein Bild, das seit dem Iran eher eine Seltenheit war. Viele Frauen in bunten, wunderschönen Saris (dem traditionellen Kleidungsstück der Frau in Indien) rauschten an uns vorbei, winkten und hießen uns willkommen. Dass der Straßenverkehr noch verrückter werden würde, haben wir eigentlich nicht für möglich gehalten, aber die Hupe, die in Pakistan als Hinweis zum Überholen benutzt wird, wird in Indien benutzt wie das Gaspedal. So sind wir erstmal froh, als wir im Hotelzimmer in Amritsar die Tür hinter uns verschließen und durchatmen können.

Am nächsten Morgen wagen wir uns kaum auf die Straße, so laut und voll ist es. Aber gestärkt mit einem indischen Frühstück aus einer Mischung Brot und Bratkartoffeln begeben wir uns dann doch in den Trubel der Stadt. Dass wir die Straßen lebend überquert haben, grenzt dabei für uns an ein Wunder. Der Blickkontakt mit den Fahrerinnen und Fahrern sollte beim Überqueren der Straßen stets gehalten werden, während man sich im Slalom und deutlicher Handbewegung durch den Verkehr schlängelt. Sich dort nicht zu verlieren, ist eine ebenso große Herausforderung. Der riesige Basar erzeugt dann eine Reizüberflutung aller Sinne, der man sich kaum entziehen kann. Von etlichen Gewürzen über riesige Stoffbahnen hin zu allen Obst- und Gemüsesorten, die man sich vorstellen kann. Wir können uns kaum auf das riesige Angebot konzentrieren, da wir sonst wohl unser Leben im engen Straßenverkehr lassen würden. Wir vermissen Fußgängerzonen! Auch unsere Nasen sind bei einer Mischung aus stark gewürztem Essen, unendlich viel Müll auf den Straßen und frei laufenden Kühen in den Straßen leicht überfordert.

Wir flüchten zum zentralen und gleichzeitig berühmtesten Punkt der Stadt, dem goldenen Tempel. Amritsar ist spirituelles Zentrum des Sikhimus, eine der vielen Religionen in Indien, der weltweit mehr als 20 Millionen Menschen angehören. Der Tempel wurde mehrmals renoviert und mit Marmoreinlagen am Boden versehen. Der Gründer des indischen Sikh-Reiches ließ die oberen Stockwerke des Tempels mit 750 Kilogramm reinem Gold überziehen, was zugegebenermaßen beeindruckend aussieht. Die Besucher des Tempels bewegen sich über einen Damm in die goldene Mitte des Tempels oder wandern über das umliegende Gelände. Das Wasser gilt als reinigend, weshalb wir einige Menschen beim Baden beobachten können. Alles hier hat für uns einen äußerst spirituellen Touch, den wir gerne beobachten.

Nach einigen Tagen Eingewöhnungszeit in Amritsar steuern wir eine weitere religiöse Hochburg an, die eigentlich gar nicht unmittelbar zu Indien gehört. „Ich fühle mich wie in einem anderen Land!“ Das waren unsere Gedanken nach der Ankunft in der Stadt McLeod Ganj in Dharamshala. Die Region ist das Zentrum des tibetischen Buddhismus, nicht nur in Indien, sondern in der ganzen Welt. Das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, der Dalai Lama, begab sich nach langem Protesten im eigenen Land ins Exil nach Indien, wo er noch heute mit einigen seiner Anhänger und Mönche lebt. Nach etlichen Jahren der Proteste brach im März 1959 ein großer Aufstand aus, der von chinesischen Truppen niedergeschlagen wurde. So entstand vor vielen Jahren eine demokratisch legitimierte tibetische Schattenregierung.

Leider hatten wir die große Lehrveranstaltung, die der Dalai Lama dort einmal pro Monat gibt, um wenige Tage verpasst. Dennoch wollten wir uns den gleichnamigen Tempel nicht entgehen lassen. Dort angekommen trafen wir auf einen vollen Saal betender Mönche, die sich von den Besuchern nicht ablenken ließen. Wir lauschten den tibetischen Gongs, drehten die Gebetsmühlen und genossen den Ausblick auf nebelbedeckte Berge. Die umliegenden Städte sind klein, bieten jedoch viel Potenzial, um die Welt des tibetischen Essens, der Kultur sowie des Kunsthandwerks einzutauchen.

Von Dharamshala aus lag unser nächstes Ziel Rishikesh eigentlich nur gut 450 Kilometer entfernt. In Indien bedeutet dies aber eine Fahrtstrecke von zehn Stunden. Ohnehin hat uns unser bisher größtes Reiseland uns vor die Herausforderung gestellt, eine Route auszuarbeiten, die in einem Monat sinnvoll zu schaffen ist. Da wir uns dazu entschlossen hatten, an Weihnachten wieder in der Heimat zu sein, ergab sich so eine Route von 3.000 Kilometern, die uns durch den Norden von Indien führte. Der Süden bleibt also weiterhin auf der To-Do-Liste der Zukunft.

Rishikesh stand deshalb auf unserer Routenplanung, da der Ort als heilige Stadt am Ganges für seine spirituelle Bedeutung bekannt ist. In den letzten Jahren ist sie zu einem Hotspot für „Selbstfindung“-Typen geworden, die ein bisschen Seelensuche und eine Menge Yoga betreiben. Bevor wir uns also auf die Weiterreise durch einige der bekanntesten Städte und Sehenswürdigkeiten Indiens begaben, wollten wir in Rishikesh noch einmal so richtig herunterkommen. Aber schon mit der Einfahrt in die Stadt stieg der Stresspegel durch lauten Verkehr, etliche Kühe auf den Straßen und mal wieder Müll, der das Stadtbild prägte. Ob man hier meditieren oder entspannt Yoga machen kann? Wir haben uns die Atmosphäre zwar deutlich anders vorgestellt, suchten uns aber zunächst ein Zimmer in einem der vielen Yoga-Retreats. Umgeben von Aussteigern, Sinnsuchenden oder Menschen in der Yoga-Lehrer-Ausbildung verbrachten wir hier ein paar Tage im Duft von Räucherstäbchen und Masala-Tee und haben selbst ein wenig Ruhe gefunden, die man in Indien selten findet.

Weitere sechs Autostunden von Rishikesh entfernt befindet sich die Hauptstadt Delhi. Ein ausgiebiger Stopp war hier nicht geplant. Da die Stadt aber auf unserer unmittelbaren Route lag, entschlossen wir uns zumindest für einen kurzen Halt. Die knapp 20 Millionen Einwohner Stadt verpasste uns dabei nochmal einen waschechten Kulturschock.

Delhi ist verschmutzt, verstopft, schmutzig, stinkend und laut. Die Luft ist zum Atmen giftig, es gibt pausenlos Ärger, und die schiere Anzahl der Menschen führte dazu, dass wir uns überwältigt fühlten. Die hohe Aufmerksamkeitsspanne, die man selbst beim Umherirren an den Tag legen muss, ließ uns schnell ermüden. Nichtsdestotrotz ließen wir die Eindrücke zwei Tage lang auf uns einprasseln. Sagen wir so: interessant mal dort gewesen zu sein, aber nochmal brauchen wir das nicht. Aber um doch noch eine Lanze für unsere Erfahrungen hier zu brechen, müssen wir sagen, dass uns das indische Essen mit am besten gefallen hat. Besonders Vegetarier werden in Indien auf ihre Kosten kommen, da Fleisch in vielen Restaurants eher als Ausnahme zusätzlich mit angeboten wird. Hindus vermeiden es ganz allgemein Tieren leid anzutun. Sie glauben, dass Götter in jedes Lebewesen schlüpfen kann. Auch die Seele von manchen Menschen können in einem Tier wiedergeboren werden, wenn sie in ihrem vorherigen Leben etwas sehr Schlimmes angestellt haben. Und weil Götter oder Seelen von Menschen in Tieren sein können, verzichten viele Hindus auf Wurst, Fleisch und anderen Nahrungsmitteln von Tieren. Sie ernähren sich also vegetarisch.

Nach zwei chaotischen Tagen in Delhi erreichten wir schließlich das wohl bekannteste Highlight des Landes. Es gilt weltweit als eines der schönsten Gebäude der Welt. Das Taj Mahal befindet sich in der historischen Stadt Agra und wird als "Symbol der Liebe" bezeichnet. Es wurde vom Moghul-Kaiser zur Verewigung seiner Frau erbaut, die 1631 starb. Das ist mal ein Liebesbeweis.

Zahlreiche Besucher und Besucherinnen kommen hierher, um sich selbst ein Bild von der Schönheit des Monuments machen zu können. Wie wahrscheinlich auch viele unter euch, hatten wir zuvor etliche Bilder und Ansichten von dem Gebäude gesehen und waren gespannt, ob wir es hautnah noch immer so schön finden würden. Und nachdem wir es am Eingang geschafft hatten, uns durch die riesigen Menschenmassen zu schlagen und mit ungefähr zehn Familien oder Paaren Bilder gemacht hatten, standen wir vor dem berühmten Brunnen, der zentral hin zum Taj Mahal führt. Und zugegebenermaßen waren wir sehr beeindruckt von dem, was wir da vor uns gesehen haben. Zwar waren wir bei weitem nicht die einzigen Besucher im Komplex, konnten aber dennoch ein paar schöne Schnappschüsse ergattern.

Zum Abschluss unseres Aufenthalts in Indien hätte es wohl keinen größeren Zufall geben können, als zwei andere Reisende aus dem Umkreis Osnabrück zu treffen. Mit Thilo und Marc, die seit Juni dieses Jahres mit ihren Enduros auf ähnlichen Wegen unterwegs sind, kreuzten sich unsere Wege in Jaipur, nachdem wir zuvor schon online in Kontakt gestanden hatten. Und gibt es eine bessere Einstimmung auf zu Hause, als mit zwei Nachbarn ein Bier zu trinken? Wir glauben nicht. Schließlich waren wir zuvor nahezu vier Monate ohne Alkohol unterwegs.

Am Ende hat sich unser Besuch in Indien wie ein kurzes Abtauchen in eine vielfältige Kultur angefühlt. Aber an diesem Punkt die Rückreise anzutreten, fühlte sich für uns gleichzeitig sehr richtig an. Wir haben schließlich unser Ziel erreicht, nach Indien zu gelangen und hier einen ersten Eindruck erhalten. Wir haben ein wenig das Gefühl, gerade gar nicht mehr Eindrücke aufnehmen zu können und möchten daher keine weiteren Abenteuer erzwingen. Noch dazu geht es auf dem Landweg nur noch weiter in die Länder Nepal und Bangladesch, bevor vor Myanmar wieder eine Durchgangssperre kommen würde.

Die Reiseroute mit der Einstellung zu beenden, die Zeit unseres Lebens gehabt zu haben, fühlt sich richtig und gut an. Doch bevor die Reise wirklich beendet ist, stehen uns noch einige Herausforderungen bevor, von denen wir euch in einem letzten Beitrag bald berichten werden.

Route, Stand 30.11.2022. Quelle: Gaia GPS / Open Street Map.

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Vorurteile über Bord geworfen.