Mit der Polizei-Eskorte durch Belutschistan.

“Wir können überall hinfahren, aber ich möchte nicht mit einer Eskorte durch Belutschistan fahren!”

Das habe ich, Caro, von Beginn unserer Planungen an immer gesagt. Denn nicht jede Landesgrenze ist so einfach zu überqueren, wie die bisherigen. Möchte man den Landweg bis nach Indien bestreiten, führt derzeit der einzige Weg vom Iran aus durch die Provinz Belutschistan nach Pakistan. Belutschistan ist eine Region, die seit Jahrzehnten von Unruhen, Rebellion, Unabhängigkeitsbewegungen und Terrorismus gezeichnet ist. Es ist nicht unüblich, dass hier Anschläge von lokalen Gruppierungen verübt werden und daher ist es Touristen nicht gestattet, diese Region auf eigene Faust zu bereisen. Stattdessen stellt die Regierung eine kostenlose, bewaffnete Polizeieskorte zur Verfügung, die die ausländischen Fahrzeuge oder andere Reisende auf dem Weg aus der Region begleitet.

Die Alternativroute vom Iran über Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan ist derzeit aufgrund geschlossener Landesgrenzen nicht passierbar und so stellte sich irgendwann die Frage für uns, ob es noch weiter nach Indien geht. Nicht, dass wir nicht grundsätzlich an der Schönheit Pakistans mit einmaligen Berglandschaften interessiert wären, aber die damit verbundene, nicht greifbare Gefahr hat zumindest Caro zunächst etwas ängstlich gemacht. Letztlich haben wir uns aber sehr gründlich informiert, uns mit anderen Reisenden sowie mit Locals ausgetauscht, sodass wir die tatsächliche Gefahr für unsere Reiseroute besser einschätzen konnten. So entschlossen wir uns schließlich, die eigentlich nicht präferierte Route zu fahren und die anfängliche Angst entwickelte sich zu einer gespannten Vorfreude.

Glücklicherweise waren wir nicht allein, denn gemeinsam mit Sharuk und Jia, die ihre Familien in Pakistan besuchen wollten und Leoni und Philipp, die sich ebenfalls auf einer längeren Reise befinden, verbrachten wir unser letzte Nacht in Zahedan im Iran. Von hier aus ging es am nächsten Morgen die letzten 100 Kilometer bis zur iranisch-pakistanischen Grenze. Die Ausreise aus dem Iran verlief dank unseres Fixers (einer Person, die die Zuständigen Grenzbeamten und das Prozedere genauestens kennt) problemlos und rechtzeitig vor Grenzschließung der pakistanischen Seite um 14 Uhr erreichten wir den Einreiseschalter als einzige Einreisende. Die Stempel in unsere Pässe waren schnell gemacht, der darauf folgende Prozess verlief im Zick-Zack durch unterschiedliche Büros. Ungefähr zwei Stunden nach der Einreise wurden wir zur Zentrale der Levies auf dem Grenzgelände weitergeleitet.

Die pakistanischen Levies sind eine militärische Strafverfolgungsorganisationen in Pakistan, die in erster Linie die Aufgabe haben, für die Durchsetzung der Gesetze zu sorgen, die Polizei bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung zu unterstützen und interne Sicherheitsoperationen unterhalb der Bundesebene durchzuführen. Neben dieser Aufgabe sind sie auch die Organisation, die für den sicheren Transport von Touristen durch die Region Belutschistan sorgen. Meine Angst auf einen Zwischenfall ist nicht ganz unbegründet, denn die Levies selbst sind in der Vergangenheit selbst immer wieder Opfer terroristischer Übergriffe gewesen. Im Januar 2014 sterben sechs Levies bei einem Schusswechsel, als sie einen spanischen Radfahrer durch Belutschistan eskortieren, fünf weitere Levies und der Spanier selbst werden verletzt. Auf dem Gelände der Levies angekommen, empfängt uns ein in einer traditionellen Tracht gekleideter Mann und wischt den Staub von den dort eingerichteten Sitzgelegenheiten. Wenn er nicht so freundlich lächeln würde, sähe er ganz schön gefährlich aus mit seinen dunklen Augen und markanten Schnurrbart. Schon verrückt, was die Medien uns manchmal für ein Bild in den Kopf setzen, nach dem Motto: “böse schauende Männer mit Bart aus Pakistan sind Terroristen!” Sogar ich, Caro, war mir relativ sicher, dass er echt nett ist. In der Hitze der pakistanischen Sonne brütend bat er uns Frauen gleich an, das Kopftuch abzunehmen. Dies sei ein “Iranian problem”, auch wenn Frauen in Pakistan ebenfalls aus religiösen Gründen verschleiert sein können. In gebrochenem Englisch berichtete er uns davon, dass wir das 204. Auto in diesem Jahr sein werden, das die Grenze überquert. Auf die Frage, ob es denn jetzt bald mit der Eskorte losgehen könnte, lachte er nur frech und antwortete “haha, no. Escort tomorrow at 7.30 - Inshallah!”.

INSHALLAH. Ein Wort, das uns mittlerweile richtig gut gefällt. Im muslimischen und arabischen Raum wird es verwendet, wenn man ausdrücken möchte “so Gott will!”. Und das trifft ziemlich genau auf viele der Kulturen zu, die wir zuletzt bereist haben. Und es ist vor allem so schön gegensätzlich zu dem, was wir so aus dem geregelten Deutschland kennen. Einem Land, in dem man - abgesehen von der Verspätung der deutschen Bahn - so ziemlich alles auf die Sekunde genau vorhersagen kann. Wann und wo man in der nächsten Woche an einem bestimmten Tag sein wird. In Pakistan hat man ein anderes Verhältnis zum Planen. Wenn Gott möchte, fahren wir morgen früh um 7.30 Uhr mit der Eskorte los. Wenn nicht, dann eben nicht. Da können wir also noch so rechtzeitig an der Grenze sein. Wann es wirklich losgeht, entscheiden die Mühlen der pakistanischen Polizei. Also machten wir es uns zunächst an der Polizeistation gemütlich und wir beobachteten das Treiben der ein- und ausgehenden Polizisten mit schwerem Geschütz.

Pünktlich um halb acht am nächsten Morgen standen wir bereit. Mit drei Autos und einem Motorrad aus Polen konnte es losgehen. Ein ruppiger, optisch deutlich älter als 80 Jahre aussehender Mann mit Turban trommelte seine Mannschaft zusammen und reihte uns ein. Wir begeben uns von hier an in die Hände der Levies und folgen ihren Handzeichen und Aufforderungen. Die ersten Kilometer fühlt es sich an, als seien wir auf dem Mond unterwegs, diesiger Himmel, schroffe Berge links und rechts und sandiger Boden. Von Zivilisation weit und breit keine Spur ist es hier vermutlich nicht nur gefährlich, in Gefechte lokaler Gruppierungen zu geraten, sondern auch vom Weg abzukommen. Die sandige Luft entwickelte sich mit der Zeit von schlechter Sicht zu einem massiven Sandsturm. Im Schritttempo ging es weiter, bis wir das vor uns fahrende Fahrzeug wieder sehen konnten.

Nach ungefähr zwei Stunden Fahrzeit erreichen wir den ersten Checkpoint auf unserer Strecke, an dem wir unsere persönlichen Daten aufnehmen lassen und auf die nächste Eskorte warten mussten. Über den gesamten Verlauf des Abschnitts durch Belutschistan sind immer wieder unterschiedliche Kräfte zuständig. Das bedeutete für uns, dass sich die Fahrer und Einsatzkräfte änderten und wir hin und wieder warten mussten. Bei gemeinsamen Tee oder Kaffee kamen wir aber immer freundlich ins Gespräch und die Levies waren daran interessiert, wo wir herkommen und wo wir hin möchten. Schnell noch ein Selfie und schon konnte es weitergehen.

Entlang der Strecke kamen wir aus dem Staunen und Fotografieren kaum heraus, weil sich draußen so viel los war. Etliche Autos mit winkenden Menschen auf den Ladeflächen überholten uns winkend und fotografierten zurück. Vor allem die geschmückten pakistanischen Trucks gefallen uns. Die Fahrzeuge werden von Hand mit Malereien, Stoffen und Bändern, Plastiken und Anbauten in bunten Farben aufwendig verziert, was auf Traditionen bis weit vor die Erfindung von Kraftfahrzeugen zurückgeht. Es gibt sogar eigene Berufe für die Verzierung der Trucks. Auf unserem Weg kommen uns auffallend viele unangemeldete Autos entgegen oder überholen uns, die so auf illegalem Weg Diesel oder Lebensmittel von oder in den Iran transportieren. Erkennbar sind sie an nicht vorhandenen Kennzeichen sowie hoch beladenem Ladeflächen. Auf offiziellem Wege ist der Transport aufgrund der Sanktionen gegen den Iran nicht möglich. Die Menschen hier wissen sich jedoch scheinbar zu helfen.

Nach einem 15-Stunden-Tag fuhren wir endlich in die Einfahrt des Hotels in Quetta, in dem wir übernachten sollten. Am nächsten Morgen stand noch die Abholung eines Dokuments für die Ausreise aus der Region Belutschistan an. Frei bewegen durften wir uns in der Stadt nicht, sondern wurden ohne unsere Fahrzeuge in einem Polizeiwagen mit bewaffneten Polizisten eskortiert. Weitere Erledigungen, wie das Abheben von pakistanischen Rupi sowie das Besorgen einer lokalen SIM-Karte standen auf dem Rückweg an, bei dem wir uns durch das bunte Treiben der Stadt schlagen mussten. Und selbst in diesen engen und viel befahrenen Straßen wechseln die Eskorten noch, sodass wir teilweise mehrere Meter auf die andere Straßenseite laufen mussten, weil an ein Durchkommen mit dem Auto nicht zu denken ist.

Nachdem wir all unsere Erledigungen hinter uns gebracht haben, stand die nächste Eskorte schon vor der Hoteleinfahrt. Nun sollte es für uns weiter in Richtung Osten gehen, um die Region Belutschistan zu verlassen. Wir erhofften uns, dass dies der letzte Teil mit der Polizei-Begleitung sein würde und bemühten uns, stetig und schnell voranzukommen. Leider konnten wir unsere ursprünglich geplante Route von Quetta aus nicht fahren, da dort aufgrund schwerer Überschwemmungen große Straßenteile zerstört wurden, deshalb wählte die Polizei eine kürzere, aber leider längere Strecke aus. Da wir an dieser Tatsache ohnehin nichts ändern können, ärgern wir uns zunächst nicht, sind uns aber mittlerweile sicher, die Eskorte an diesem Tag nicht mehr los zu werden. Nachdem wir schon mehr als 10 Stunden in den Autos fuhren und die Dunkelheit nicht zur Fahrsicherheit beitrug, entschlossen wir uns, auf einer Polizeistation zu schlafen. Dort angekommen öffnete man uns den Hinterhof, auf dem bereits mehrere Polizisten auf Pritschen und mit Moskitonetzen geschützt schliefen. Wir schlugen auch unsere Zelte auf und fanden schnell in den dringend benötigten Schlaf.

Am nächsten Morgen wurden wir früh um halb acht mit einem Klopfen gegen die Autotür geweckt und freundlich aber bestimmt darauf hingewiesen, dass man uns in fünf Minuten auf die Straße bringen möchte. Unausgeschlafen aber frohen Mutes steigen wir ohne den erhofften Kaffee ins Auto ein und fahren wieder mal durch eine atemberaubend schöne Landschaft. Hatten wir uns am Abend noch erhofft, die Eskorte spätestens am nächsten Morgen loszuwerden, versicherte uns das Erscheinen immer neuer Eskorten am Ende eines nächsten Distrikts: sieht nicht so aus, als wollten die uns heute alleine weiterfahren lassen. Bis in die frühen Abendstunden begleitete man uns während der Landfahrten bis man uns schließlich mit dem Übergang auf den neuen Highway in unsere Freiheit entließ.

Mehr als 1700 Kilometer, drei volle Fahrtage und über 25 Eskorten-Wechsel liegen hinter uns und wir fühlen uns schlimmer als nach einem Langstreckenflug ans andere Ende der Welt. Trotzdem sind wir froh, dass wir trotz eines zusätzlichen Tages in Begleitung der Polizei so schnell an unser erstes Ziel in der Nähe der indischen Grenze gelangt sind. Noch dazu haben wir uns immer in sicherer Begleitung gefühlt und die Gelegenheit gehabt, mit den Polizisten ins Gespräch zu kommen. Im Schnelldurchlauf haben wir einen Großteil des Landes bereist und dabei von einer schroffen Wüste, über sandige Landschaften hin zu tropischen Wäldern alles gesehen. Schon jetzt sind wir gespannt darauf, Land und Leute näher kennenzulernen und uns abseits von kritischen Gebieten ein eigenes Bild von Pakistan zu machen.

Um uns in den nächsten Tagen zu akklimatisieren und uns eine Route für das Land zu erarbeiten, sind wir bei einem Bekannten in Sheikhupura eingeladen. Bei Hussain und seiner Familie werden wir unsere ersten richtigen Tage in Pakistan verbringen und den höchsten Feiertag des Landes verbringen.

Route in Iran, Stand 22.08.22. Quelle: Gaia GPS / MapBox / Open Street Map.

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