Ehrengäste am Independence-Day.

Nach drei Tagen Fahrt mit der Polizei-Eskorte durch Belutschistan haben wir uns nichts mehr gewünscht als eine Dusche, eine warme Mahlzeit und ausgiebigen Schlaf. Glücklicherweise konnte uns unsere erste Anlaufstelle in Sheikupura, nahe der indischen Grenze, all diese Wünsche erfüllen. Mit Hussain, unserem Gastgeber, standen wir schon mehrere Wochen vor unserer Einreise in Kontakt. Er hat uns nicht nur den für das Visum notwendige „Letter of Invitation“ (eine Einladung von einem Einheimischen) ausgestellt, sondern auch viele wertvolle Tipps für unseren Start der Reise in Pakistan gegeben. Durch ihn und seine Familie, die in einem großen Haus mit mehreren Generationen leben, fiel uns unser Start in dem chaotischen Land viel leichter. Die Temperaturen von über 35 Grad und tropischer Luftfeuchtigkeit machten uns hingegen zu schaffen und sorgte für einen sehr hohen Verbrauch an Kleidungsstücken.

Nach einem Tag dringend benötigter Erholung stand der wichtigste Feiertag des Landes auf dem Programm: Pakistans 75. Unabhängigkeitstag. Nachdem die britische Besatzung abgezogen war, sah der damalige Präsident nur eine Möglichkeit, wie die muslimische Minderheit nicht an den Rand gedrängt werden könnte. Und das Ergebnis daraus war die Gründung einer eigenen Nation. Ein Strich auf der Landkarte machte es schließlich offiziell und bis heute besteht zwischen den beiden Nachbarn Indien und Pakistan trotz so vieler Ähnlichkeiten eine tiefe Feindschaft. Der einzige Grenzübergang zwischen den beiden Ländern liegt ungefähr 25 km weiter von Lahore in der Grenzstadt Wagah. Jeden Abend, kurz vor Sonnenuntergang, verwandelt sich dieser Übergang in eine Arena, in der die beiden Länder sich demonstrativ gegenüberstehen. Auf der einen Seite die Pakistani, auf der anderen Seite die Inder. Nach den jeweiligen „lang lebe“-Rufen stehen sich die Grenzer kurz gegenüber. Kurz, denn ein Visum für das jeweils andere Land zu bekommen, ist nicht so einfach. Einige sagen sogar, unmöglich.

Zur Feier des Tages hatte Hussain großes mit uns vor und beauftragte ein Fernsehteam des pakistanischen Hauptsenders „24 News“, uns bei dem Besuch der lokalen Sehenswürdigkeit Hinar Minar, einem Komplex aus dem 16. Jahrhundert, zu begleiten. Während wir also auf dem Gelände auf- und abgingen und historische Hintergrundinformationen erhielten, filmte man uns beim aufmerksamen Zuhören und Fotos schießen. Zuletzt durften wir das Land zu seinem Jubiläum mit den Worten „Pakistan Zindabad!“ („Lang lebe Pakistan!“) beglückwünschen. Auf dem Rückweg zu Hussain‘s Familie teilte er uns den Ablauf des nächsten Tages mit, an dem er nicht weniger für uns geplant hatte. 

Früh am nächsten Morgen waren wir „Teil“ eines Kinderchors, der beim Singen der Hymne des Landes aufgezeichnet wurde. Währenddessen standen wir eher teilnahmslos im Hintergrund des Bildes, wohl um darzustellen, dass Gäste aus dem Ausland in der Stadt sind. Ohne diesen sonderbaren Termin zu hinterfragen, ging es weiter zur ortsansässigen Handelskammer, die uns am Vortag als Ehrengäste einlud. Dort angekommen, war der rote Teppich bereits ausgerollt und der Leiter der Kammer empfing uns freudestrahlend. Da wir nicht wussten, was im Detail auf uns zukam, war unsere Gefühlswelt eine Mischung aus peinlich berührt, verwundert und amüsiert. Warum wir so ehrenvoll und begeistert empfangen wurden, haben wir bis heute nicht wirklich verstanden. Man geleitete uns hoch in den Hauptkonferenzraum, in dem bereits ungefähr 50 Männer am Tisch saßen. Sofort räumte man vier Stühle für uns frei und platzierte uns voller Freude und Stolz in der ersten Reihe. Besonders Caro, als einzige Frau im Raum, wurde sehr herzlich mit einigen Verbeugungen und der „Hand aufs Herz“-Geste (statt ihr die Hand zu geben, wie es sich in der muslimischen Religion nicht gehört) begrüßt. Das, was wir eigentlich eher vom Iran erwartet hatten, nämlich strenge Religiosität, konservative Sitten und Vollverschleierung, haben wir erst so richtig in Pakistan angetroffen. Häufig machten wir die Erfahrung, dass Männer Caro aus Respekt nicht die Hand gaben und teilweise sogar Julian um ihr Wohlbefinden, ihre Meinung oder berufliche Tätigkeit befragten. Dass wir unverheiratet sind und mit 28 Jahren noch keine Kinder haben, stieß dabei häufig auf Verwunderung und Unverständnis. Wir sollten uns das doch mal schnellstens überlegen. Unser Versuch zu erklären, dass die Uhren in Deutschland und Europa mittlerweile etwas anders ticken und Paare mit dem Heiraten und Kinder bekommen mehr Zeit benötigen oder vielleicht sogar ganz andere Konzepte bevorzugen, wird mit großem Staunen zur Kenntnis genommen.

Es folgte ein für uns äußerst schräger Ablauf von einem Film der Entstehungsgeschichte des Landes, einzelnen Vorträgen und der Befragung unseres ersten Eindrucks des Landes. Na ja, was hatten wir bislang groß zu berichten, als die Polizei-Eskorte durch Belutschistan? Wir legten uns die blumigsten Umschreibungen von schöner Natur, netten Menschen und leckerem Essen zurecht und erhielten dafür immer wieder tosenden Applaus. Schließlich folgte das Mittagessen, bei dem wir mit lokalen Gerichten und Getränken verwöhnt wurden. Da Julian nicht gleich angemeldet hatte, Vegetarier zu sein, hatte er das Glück, das Schafgehirn probieren zu dürfen. Ich, Caro, hatte dabei nicht den Eindruck, dass wir dieses Gericht nochmal bestellen müssen. Während des ausgiebigen Essens, mit wirklich leckerem und vor allem scharfen Essen, kamen wir mit vielen interessierten Unternehmern ins Gespräch, die uns allesamt zu sich nach Hause einluden. Unser Adressbuch ist nun mit vielen Namen wie „Ahsan Handelskammer Stahl“ oder „Bilal Handelskammer Holz“ gefüllt. Überwältigt von so viel Gastfreundschaft und Offenheit gegenüber uns als Touristen verbrachten wir den zunächst letzten Abend bei Hussain, der uns mit weiteren Tipps und Routenvorschlägen ausstattete.

Mit einem Zwischenstopp in der Hauptstadt Islamabad bei unserer Bekanntschaft Muhammad aus Teheran setzen wir unsere Reise fort.  Die erst in den 1960er Jahren gegründete Stadt hat heute gut eine Million Einwohner und ist vor allem berühmt für ihre wunderschöne Faisal Moschee, die als Geschenk des Königs Saudi-Arabiens Faisal ibn Abd al-Aziz vom türkischen Architekten Vedat Dalokay im Jahr 1985 erbaut wurde. Sie ist heute die größte Mosche in Südasien und die fünftgrößte Moschee der Welt. Eine vergleichsweise moderne Stadt haben wir in Pakistan gar nicht erwartet und doch gefunden.

An diesem besonderen Ort haben wir uns wenige Tage später ein nicht weniger besonderes Treffen vorgenommen. Faridullah, heute 24 Jahre alt, hat den Weg von Dschalalabad aus Afghanistan auf sich genommen, um Julian nach 18 Jahren wiederzusehen. Als Faridullah vier Jahre alt war, lebte er insgesamt zwei Jahre lang bei der Familie Twent in Osnabrück, um sich einer Operation zum Korrigieren seiner Schienbeine zu unterziehen. Er war eines von insgesamt vier Kindern, die so die Möglichkeit hatten, professionelle ärztliche Behandlungen zu erhalten und nach Beendigung der Therapie nach Afghanistan zurückzukehren. Das Wiedersehen nach so vielen Jahren war sehr aufregend und gemeinsam mit seinem Cousin Sana hatten wir uns viel - vor allem über die derzeitige Situation in Afghanistan mit den Taliban - zu erzählen. Eine richtige Chance, in der neuen „Regierung“ ihren Platz zu finden und dort glücklich zu werden, finden die beiden Männer nicht und berichten uns, dass Großfamilien wie ihre dort meist von nur 200€ im Monat mit ungefähr zehn Personen leben. Eine Summe, die in Deutschland überwiegend nur einen Bruchteil der Miete für ein Zimmer, beispielsweise in Berlin, ausmacht. Zehn Menschen mit dieser Summe zu versorgen, ist für uns kaum vorstellbar und wir fühlen uns schlecht bei dem Gedanken, jederzeit in einen gewissen Wohlstand zurückkehren zu können. Auch Religiosität und Kultur spielen für die beiden Männer eine große Rolle. Faridullah berichtet, dass Caro die erste Frau war, der er zur Begrüßung die Hand gegeben hat.

Dass wir mittlerweile inmitten der Länder unterwegs sind, die wir sonst nur aus den Nachrichten kennen, gibt den unglaublichen Schicksalen plötzlich ein Gesicht und alles ist viel näher, als wir es uns jemals hätten vorstellen können. Faridullah lud uns sogar in seine Heimat, Dschalalabad, nahe der pakistanischen Grenze ein und war sich sicher, dass es derzeit überhaupt keine Gefahr gäbe, das Land zu besuchen. Das einzig Positive, dass die Taliban mit ihrer Machtergreifung eingeführt haben, ist seiner Meinung nach die Sicherheit im Land. Dass wir diese herzliche Einladung - zumindest im Moment - abgelehnt haben, nahm er uns glücklicherweise nicht übel. Wir hoffen dennoch, dass wir dieses spannende Land irgendwann mit unseren eigenen Augen sehen und uns ein eigenes Bild machen können.

Um endlich die schwüle und tropische Hitze zu verlassen, entschieden wir uns nach zwei Wochen im Land, in den Norden zu fahren. Nach schweren Regenfällen und Überschwemmungen in Pakistan mussten wir unsere nächsten Stopps allerdings mit besonderer Vorsicht auswählen. Pakistan leidet seit Juni dieses Jahres unter einem besonders starken Monsun, der mehr als 1.000 Menschen das Leben gekostet hat. Viele Straßen und Wohnhäuser wurden dabei in Mitleidenschaft gezogen und haben den Menschen das ohnehin schon wenige Hab und Gut genommen. Besonders der Süden des Landes ist hiervon stark betroffen.

Nach zwei Wochen, die wir aufgrund der tropischen Hitze nicht im Auto verbringen konnten, hatten wir wieder Lust auf Natur und Abgeschiedenheit. Das Problem in Pakistan ist nur, dass man diese kaum findet. Selbst an den entlegensten Orten tauchen wie aus dem Nichts heraus Menschen auf, die interessiert zusehen, wie wir unser Auto einrichten, kochen oder uns unterhalten. Die Kommunikation ist auf dem Land meist auch eher schwierig, da nicht alle Menschen Englisch sprechen, obwohl sie im Land als Amtssprache gilt. Auch die lokale Polizei hält uns an einigen Orten immer wieder auf und verbietet uns das Übernachten an entlegeneren Orten, da sie uns als Touristen schützen wollen. Wovor ist uns nicht immer klar, wir landen aber häufig auf Parkplätzen von Hotelanlagen. Wir bekommen immer wieder gesagt, dass seit den Anschlägen vom 11. September 2001 alles anders sei. Seit diesem Tag sind die zuvor hohen Touristenzahlen rapide eingebrochen und nur noch wenige Menschen aus Europa oder anderen Ländern „trauen“ sich nach Pakistan. Die Menschen, die sich aber trauen, werden mit größter Vorsicht behandelt, um schlechten Schlagzeilen vorzubeugen. Da man uns auf den Parkplätzen der Hotelanlagen aber sogar kostenlos ein Bad nutzen ließ, war diese Variante allerdings manchmal gar nicht so schlecht für uns. Trotzdem wünschten wir uns nach einigen Tagen, doch irgendwann ein ruhiges Plätzchen zu finden. Über die Stadt Abbotabad, in der die USA im Jahr 2011 den al-Qaida Anführer Osama Bin Laden aufgespürt und erschossen haben, ging es für uns in Richtung Karakorum-Highway.

Und als hätte jemand unseren Wunsch erhört, trafen wir kurz vor dem Abbiegen auf den berühmten Highway auf eine Gruppe von pakistanischen Motorradfahrern, die uns nach einem kurzen Smalltalk zu ihrem Übernachtungsort einluden. Wir folgten den acht Bikern auf dem Weg hinauf auf 3.500 Meter, fast an die Spitze des Astore Valleys im Himalaya. Dort angekommen wurden wir von morgens bis abends mit leckerem pakistanischem Essen verwöhnt, konnten ein Cricket-Spiel der örtlichen Mannschaften verfolgen und mit sehr spannenden Menschen ins Gespräch kommen. Wie könnte man es besser schaffen, ein Land zu verstehen, das inmitten von Konflikten benutzt wird und es vergeblich versucht, Eigenständigkeit zu erlangen? Die Gespräche mit den sympathischen Männern beeindruckten uns sehr und wir konnten all unsere Fragen stellen, die wir zu diesem Land hatten. Und auch in dieser Runde voller hartgesottener Männer fällt uns auf, wie sehr Religion eine Rolle spielt. Nach einer langen Fahrt mit dem Motorrad wurden die langen schwarzen Haare geschüttelt, zum Zopf gebunden und andächtig der Gebetsteppich ausgepackt. Inmitten des Trubels der großen Reisegruppe fanden die Männer ihre Ruhe, um kurz in sich zu gehen und zu beten. Es ist schön zu sehen, welche Kraft die Menschen hier in ihrem Glauben finden. Und ein wirklich verrücktes Bild (das wir euch leider nicht zeigen können). Insgesamt zwei Tage verbrachten wir mit der Runde netter Locals an einem nahezu unberührten Fleck Erde, nach dem wir so erfolglos gesucht haben. Nach unserem Abschied tauschten wir noch die Nummern mit den Männern aus Lahore und Islamabad aus und verabredeten uns für unsere Weiterfahrt nach Indien, bei der wir die beiden Städte nochmal kreuzen werden.

Für die nächsten Tagen entschlossen wir uns, dem sogenannten „Schicksalsberg“ oder auch „Killer Mountain“ einen Besuch abzustatten. Die Anreise zu diesem abgelegenen Punkt ist mit einer nervenaufreibenden Jeep-Fahrt und einer anschließenden Wanderung verbunden, für die wir den Defender für drei Tage zurücklassen müssen. Ob sich der Aufwand gelohnt hat und vor allem, ob wir den 8.126m hohen Berg in seiner vollen Pracht bestaunen konnten, erzählen wir euch dann beim nächsten Mal.

Route in Pakistan, Stand 04.09.22. Quelle: Gaia GPS / Open Street Map

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Bei den Königen der Berge.

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Mit der Polizei-Eskorte durch Belutschistan.