Into the Wild.

Nach unserem einwöchigen Aufenthalt im Krüger Nationalpark war die Grenze zu Botswana nicht mehr weit. Auf unserem Weg dorthin mussten wir noch einen PCR-Test organisieren und nichtmal zwölf Stunden später konnten wir uns bereits auf den Weg in die Hauptstadt Gaborone machen. Hier waren wir mit einer Bekannten aus Osnabrück verabredet. Sophia ist nach dem Abitur für einen Freiwilligendienst nach Botswana gezogen und hat hier ihren heutigen Ehemann Munya kennengelernt. Gemeinsam mit ihm und ihren zwei Kindern lebt sie dort heute in einem zentral gelegenen Haus. Obwohl wir uns nur wenige Wochen vorher flüchtig per Email über den Kontakt unserer Eltern kennengelernt haben und sich die vier gerade im Umzugsstress befinden, lud Sophia uns ein, bei ihr auf dem Grundstück zu campen. Gegen acht Uhr abends kamen wir an und kamen natürlich gleich ins Gespräch über ihren spannenden Weg nach Botswana und unsere bisherige Reise. Parallel dazu konnten wir uns darin üben, die Kinder zu beschäftigen und Gute-Nacht-Geschichten vorzulesen. Vor allem die kleine Farai ist uns sofort ans Herz gewachsen.

Den nächsten Tag nutzen wir, um einige Besorgungen vorzunehmen und uns mit Bargeld und einer SIM-Karte auszustatten. Bei der Gelegenheit fiel uns sofort auf, dass sich unsere Erreichbarkeit in diesem Land wohl eher auf Hauptstraßen, große Städte und Restaurants mit W-LAN beschränken wird. Da die nur knapp über zwei Millionen Einwohner Botswanas (das ist halb so viel wie Berlin!) hauptsächlich in den größeren Städten leben, ist außerhalb der Städte und Dörfer kaum noch irgendein Netz erreichbar. 

Gegen Nachmittag nahm Munya sich Zeit, uns ein wenig die Stadt zu zeigen. Vielmehr die Plätze, die „normale“ Touristen nicht auf den ersten Blick finden. Wir fuhren zu unterschiedlichen Plätze in der Stadt, an denen sich die Einheimischen treffen. Während der Fahrt unterhielten wir uns über unsere ersten Eindrücke aus Afrika und Botswana als eines der Vorzeigeländer des Kontinents. Munya selbst ist vor ungefähr zehn Jahren aus Simbabwe nach Botswana ausgewandert, als sich die Situation dort mehr und mehr verschlechterte. Botswanas Wirtschaft hingegen entwickelte sich nach dem Fund von Diamanten in der Zentral-Kalahari explosionsartig.

Seit 1972 werden hier Diamanten abgebaut, was für das Land damals einen enormen Aufschwung bedeutete. Von einem der 25 ärmsten Ländern der Welt entwickelte sich das Land zum größten Diamentenproduzenten und der zweithöchsten Wirtschaftswachstumsrate der Welt. Es ist wohl die Erfolgsstory des Kontinents.  Die Kehrseite ist jedoch, dass diese Minen schätzungsweise in weniger als einem halben Jahrhundert ausgeschöpft sein werden. Aus diesem Grund versucht die Regierung nun auch auf weitere Wirtschaftszweige zu setzen, unter anderem den Tourismus.

Der letzter Tag in Gaborone ging für einen Besuch in einer Werkstatt drauf, um kleinere Verschleißspuren zu entfernen und das Auto für die nächsten vier Wochen im Busch vorzubereiten. Den Nachmittag verbrachten wir mit gemeinsamen Kochen und ließen den Abend entspannt ausklingen. Nach drei Tagen in der ruhigen und eher „Dorf-artigen“ Hauptstadt Botswanas waren wir wieder bereit, in die Natur aufzubrechen. Unser Start hier hätte nicht authentischer sein können. Zu Besuch bei einer Familie in der Hauptstadt des Landes, die uns einen Einblick in ihr Leben ermöglicht hat.

Nachdem wir nun bestens für das Leben außerhalb der Zivilisation vorbereitet waren, steuerten wir das „Mabuasehube Game Reserve“ an. Ein Reservat, das an den großen Kgalagadi Transfrontierpark angeschlossen ist (ein Teil liegt in Südafrika, ein weiterer in Botswana), ist bekannt für seine Raubkatzen. Der Park selbst besteht aus mehreren Salzpfannen, die die Sicht auf die Tiere ganzjährig ermöglichen. Da Löwen und Leoparden noch immer auf unserer Liste standen, haben wir uns hier mit einer mexikanisch-holländischen Familie getroffen, die wir bereits in Kapstadt kennengelernt haben. Gegen Nachmittag kamen wir und Enrique, Linda sowie ihre zwei Jungs Eli und Guy an.

Schon seit sechs Monaten reist die Familie durch Afrika und befindet sich derzeit auf dem Rückweg nach Holland. Die letzten Tage in Botswana wollten wir dann nochmal gemeinsam verbringen und uns über unsere Erlebnisse austauschen. An unserem wunderschön gelegenen Campingplatz bereiteten wir ein gemeinsames Abendessen vor und unterhielten uns. Anders als in Südafrika sind in Botswana teilweise zwar die Außengrenzen solcher Naturreservate zum Schutz der Anwohner und deren Farmen eingezäunt, an den Übernachtungsplätzen innerhalb des Parks gibt es jedoch keinerlei Barrieren. Jeder Platz ist ausgestattet mit einer Holzüberdachung, einer Grillmöglichkeit sowie einer Toilette und Dusche im Freien. Das Wasser dafür muss mitgebracht werden. Und so waren wir dann auch nicht verwundert, als uns eine Hyänenmutter mit ihren zwei Jungen besuchte, als die Dämmerung langsam hineinbrach. Die Jungtiere kundschafteten neugierig unser Auto aus, während die Mutter uns sechs die ganze Zeit im Blick behielt. Die Jungs wurden vorsichtshalber ins Auto geschickt - schließlich hat man es noch immer mit wilden Tieren zu tun.

Der nächste Morgen startete um halb sechs Morgens, pünktlich zum Sonnenaufgang. Der Tagesablauf beim Game Driving ist eigentlich immer ähnlich:

  • Mit dem Sonnenaufgang (05:30) aufstehen und nach Tieren Ausschau halten

  • gegen 9 Uhr frühstücken und bis zum Nachmittag die Zeit auf dem Campingplatz im Schatten verbringen

  • meistens schon ein frühes Abendessen vorbereiten und essen

  • gegen 17 Uhr wieder losfahren und die langsam wieder aktiv werdenden Tiere aufsuchen

  • vor Einbruch der Dunkelheit am Platz die Zelte aufschlagen, Feuer machen

  • Um 20:30 Uhr in Bett gehen

So gingen auch wir vor und verbrachten den Tag mit einer Mischung aus Spuren verfolgen und Zeit am Camp verbringen. Anders als in Südafrika kann man in Botswanas wilden und sandigen Reservaten bestens nach Spuren von Tieren Ausschau halten. Je nach „Frische“ kann man ihre Laufwege genau beobachten und ihnen folgen. Zum Sonnenuntergang nahmen wir eine letzte Rundfahrt zur nächstgelegenen Pfanne vor. Als wir gerade wieder zu unserem Schlafplatz fahren wollten, merkte wir, dass sich das Auto der anderen nicht bewegte. Linda öffnete die Tür und sagte „ich kann den Schlüssel nicht mehr drehen!“. Das Problem kündigte sich in den vergangenen Tagen bereits an, jedoch war es dann immer mit etwas Gefühl und Geduld zu lösen. Jeder von uns versuchte nochmal sein Glück, aber nichts schien sich zu bewegen. Der Schlüssel im Zündschloss wollte einfach nicht greifen. Allmählich kündigte sich über uns ein Unwetter an und die Sonne war so gut wie untergegangen. Und auch die Tiere um uns herum mehrten sich. Nicht der beste Platz, um liegenzubleiben.

Wir diskutierten unsere Möglichkeiten. An der Stelle stehenzubleiben, war keine Option, denn das heranziehende Unwetter wäre für uns zwei Autos mit Dachzelt auf einer flachen Ebene ohne jegliche Erhöhungen zu gefährlich. Kurzerhand entschieden wir uns, alle bei uns im Auto zu schlafen und räumten alle wichtigen Utensilien von einem ins andere Auto. Linda und die zwei Jungs setzten sich auf den Beifahrersitz, Caro und Enrique stiegen aufs Autodach und Julian gab sein bestes, alle heil zum Platz zu bringen. Wir waren beeindruckt von der Gelassenheit der vier, die sich nicht aus der Ruhe haben bringen lassen. Die beiden Jungs sind wohl die unkompliziertesten Kinder, die wie je gesehen haben. Laut Linda hat es ein paar Wochen gedauert, bis sie verstanden haben, was „Mama und Papa mit ihnen vorhaben“, danach haben sie sich aber ohne Probleme auf jedes Abenteuer eingelassen. Am Platz angekommen, räumten wir die gesamte Ladefläche des Autos aus und stellten alle Taschen und Kisten geschlossen unter das Holzabdach. Die Matratze aus dem Dachzelt der Familie passte ungefähr auf die Ladefläche und so war die Notlösung für die Nacht gefunden: sechs Personen auf nichtmal sechs Quadratmetern. Kurz vorm Schlafengehen kreuzte ein Leopard unser Camp, den Caro und Enrique wohl mit Taschenlampe und Rufen nach Julian, der gerade wenige Meter entfernt duschen war, verscheuchte. 

Wir verbrachten eine überraschend gute Nacht, die von lautem Löwengebrüll morgens um fünf unterbrochen wurde. Mit Kameras und Ferngläsern ausgerüstet folgten wir dem Gebrüll und fanden einen einsamen Löwen mitten auf der Pfanne sitzen, an der das ebenso einsame Auto von Linda und Enrique die Nacht verbrachte. Die Fenster mit Planen abgedeckt, da diese sich ebenso nicht mehr schließen ließen (der Nachteil an vollautomatischen Autos). Unsere Tagesaufgabe bestand nun darin, das Auto wieder starten zu können. Ein letzter Versuch erfolgte, als wir an der Pfanne ankommen. Aber ein Wunder sollte hier nicht passieren. So folgten mehrere Fahrten zum 50km entfernten Gate, an dem wir mit Satelliten-Internet Anrufe tätigen und dem Park Bescheid geben konnten. Ein freundlicher Mitarbeiter am Gate bot sich an, sich das Auto anzusehen - er sei gelernter Mechaniker. Da die nächste Autowerkstatt mehr als 100km auf Sandstraße und damit mehr als vier Autostunden entfernt war, stimmte Linda dem Versuch zu. Und so vergingen mehr als fünf Stunden in der prallen Sonne, in der insgesamt fünf Männer versuchten, die Lenkradsperre des Toyota Fortuner zu lösen. Letztendlich waren sie erfolgreich, auch wenn das Ergebnis mit heraushängenden Kabeln mehr als provisorisch aussah. Aber immerhin war nun der Rückweg nach Südafrika gesichert. 

Nach einer kühlen Dusche und einem verspäteten Mittagessen nahmen wir unsere letzte gemeinsame Pirschfahrt auf und wurden nach diesem anstrengenden Tag mit dem Löwen belohnt, der uns morgens weckte. Dort, wo das Auto noch wenige Stunden zuvor stillstand, machte er sich sich gemütlich und ließ sich von unserer Anwesenheit überhaupt nicht stören. Einige Minuten genossen wir es, ihn zu beobachten und verabschiedeten uns, nachdem er uns zeigte, wie laut er brüllen kann. Besser hätte der Tag doch nicht enden können. Und mit einem kühlen Glas Wein stießen wir auf den erfolgreichen Tag an.

Nachdem sich die vier Reisenden am nächsten Tag von uns verabschiedeten, blieben wir noch weitere zwei Tage im Park, die uns einerseits eine Nacht vorne im Auto bescherte (mehrstündiges Gewitter), andererseits aber auch die Sichtung zweier Löwinnen.

Nichtmal eine Woche in Botswana musste vergehen, um uns zu riesigen Fans dieses Landes zu machen. Alles, was wir bis hierher gesehen haben, war vollkommen anders als Südafrika. Vor allem die unberührte Natur, die wir bis hierher sehen konnten, hat uns so viel mehr gefallen, als die vielen Zäune, die wir bislang gewöhnt waren. Alles ist etwas unorganisierter und nicht auf Besuche von Massentourismus ausgelegt, sodass man viel eigenständiger und eigenverantwortlicher unterwegs sein muss. Man befindet sich ohne Sicherheitsabstände in Arealen, in denen die Tiere und Natur das Sagen haben. Ob Leoparden oder Löwen am Zelt oder Gewitter, die einen mehrere Stunden vom Schlafen abhalten und sehr respekteinflößend sein können. Hier ist man hier nur stiller Zuschauer.

Unser nächstes Etappenziel wird der bislang wohl verlassenste Ort, an dem wir uns aufgehalten haben. Wir planen, die Zentral-Kalahari in einer Woche von Süd nach Nord zu durchqueren, bevor wir das Okavango-Delta besuchen werden. Wie wir diese Herausforderung meistern werden, berichten wir beim nächsten Mal.

Route in Botswana, Stand 31.01.22. Quelle: Gaia GPS / MapBox / Open Street Map.

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1.000 km ohne Gegenverkehr.

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Vom Dachzelt ins Himmelbett.