Kein Weg zurück?

Frühzeitig und gut organisiert, bereiteten wir uns mit allen Maßnahmen auf die Rückreise im November vor. Insgesamt einen Monat planten wir für den gesamten Rückweg von Indien nach Deutschland. Vier Wochen für ungefähr 8.000 Kilometer. Das Visum für Pakistan lag uns bereits vor und ab der Türkei benötigen wir keines mehr. Fehlte also nur noch das Iran Visum, für das man uns während unseres Aufenthaltes einen leichten Vorgang prophezeite. Wie immer alles „no problem“.

Drei Tage nach Beantragung des Visums durch eine Agentur traf Julians Bestätigung ein. Wir waren etwas verwundert, dass Caros Visum nicht dabei war, warteten zunächst aber einige Tage ab. „Bestimmt liegt der Antrag ganz oben auf der Bearbeitungsliste“, machten wir uns vor. Nach weiteren Tagen Wartezeit erhielten wir dann jedoch die Nachricht, dass das Visum abgelehnt wurde. Damit haben wir nicht gerechnet, schließlich hatten wir uns nichts vorzuwerfen. Von anderen Reisenden haben wir allerdings von ähnlichen Fällen gehört. Grund der Ablehnung für unser Visum war laut der Visa-Agentur, dass man keinen touristischen Zweck hinter der Reise sieht. Was dies bedeutet, ist für uns Spekulation. Mehr konnten wir - auch auf Nachfrage - dazu nicht herausbekommen. In den meisten Fällen ist es jedoch so, dass der Iran Spionage im Land befürchtet und deshalb manchen Reisenden ein Visum verwehrt. Und manchmal reicht den Behörden schon ein Foto auf Instagram, ein gelikter Beitrag von Regime-Kritikern oder eben ein Blog wie dieser, um ein Visum zu verwehren.

Wie ihr wahrscheinlich alle mitbekommen habt, sind im Iran im September große Proteste ausgebrochen, als die junge Iranerin Mahsa Jina Amini nach ihrer Verhaftung und Polizeigewahrsam gestorben ist. Mit großer Sorge haben wir diese Proteste natürlich während unserer Zeit in Pakistan und Indien verfolgt, jedoch eigentlich weiter geplant, unsere Rückreise dorthin fortzusetzen. Ein schlechtes Gefühl hatten wir dabei die ganze Zeit, planten aber den direkten Weg inklusive erneuter Eskorte durch Belutschistan auf uns zu nehmen - vor allem aus Kostengründen. Mehr als dreimal so teuer war die Variante der Verschiffung unserer Kalkulation nach im März im Vergleich zur Landroute. Mit der Ablehnung des Visums gerieten wir dann jedoch ins Nachdenken, während sich die Situation im Iran immer weiter zuspitzte.

Iranische Bekanntschaften, mit denen wir eigentlich noch für unsere Rückreise verabredet waren, rieten uns unterdessen, unbedingt eine Alternative zu suchen und gerade nicht einzureisen. Egal, wie sich die Situation mit dem Visum entwickeln würde. Die Menschen, die uns zuvor aus eigener Erfahrung mit der iranischen Sittenpolizei berichtet hatten, warnten uns vor unserer Rückkehr. Von diesen Erzählungen hatten wir in unseren bisherigen Berichten immer bewusst abgesehen, zu berichten. Aus eigener Angst, dass man uns überwachen könnte, was gar nicht so unwahrscheinlich ist. Denn Fakt ist, dass eine Reise in den Iran immer auch mit einem gewissen Risiko einhergeht. Das war aber schon in den Jahren zuvor so und uns zu jedem Zeitpunkt der Reise bewusst. Immer wieder werden auch Touristen auf Polizeistationen verhört, Kameras und Speicherkarten kontrolliert und in Härtefällen sogar Verhaftungen vollzogen. Die Sorge der iranischen Regierung ist in diesen Fällen meist ein Verdacht der Spionage. Es gibt bei einem Aufenthalt dringend einige Hinweise zu beachten, was wir während unserer Zeit im Juni immer mit höchster Vorsicht getan haben, um solchen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen.

Wir sind eigentlich keine großen Fans der Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes. Denn wenn es nach ihnen ginge, dürfte man rein theoretisch aus Sicherheitsgründen nicht mal in die Türkei, einem der Hauptreiseziele der Deutschen, reisen. Aber so konkret, wie der Beitrag für den Iran derzeit ist, kann es deutlicher kaum noch werden. Und mit den meisten Anhaltspunkten der Reisewarnung deckt sich unsere Art des Reisens. Mittlerweile steht die Aufforderung zur Ausreise aus dem Iran auf derselben Stufe wie die von Afghanistan.

Quelle: Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise (https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396)

Was uns unsere Bekanntschaften und Freunde im Iran im Juli aus erster Hand erzählt haben, war für uns ein echter Schock. Geschichten - auch von vor den Protesten - über gebrochene Beine wegen des Tragens einer weißen Hose, über Bestrafung durch Peitschenhiebe wegen eines Treffens als unverheiratete Frau oder das bewusste Benachteiligen der Frauen im gesellschaftlichen Leben. Natürlich haben wir auch diese Seite des Irans kennengelernt und uns mit ihnen dazu ausgetauscht. Besonders die Frauen leiden unter der Einführung der Scharia als Rechtssystem, weshalb einige von ihnen mit dem Gedanken spielen, ins Ausland zu gehen.

Einige dieser absurden Gesetze, die für uns kaum zu begreifen sind:

  • verschiedene Berufe, wie beispielsweise das Richteramt, dürfen nicht von Frauen ausgeübt werden

  • Benachteiligung im Zeugenrecht

  • Benachteiligung beim Ehe- und Scheidungsrecht (Frauen können sich ohne die Zustimmung des Mannes nicht scheiden lassen)

  • Benachteiligung beim Sorgerecht

  • Frauen dürfen kein Radfahren

  • Frauen dürfen nicht singen und tanzen

Unser Eindruck vor Ort war, dass die Menschen und vor allem die Frauen im Iran, einen Weg gefunden haben, in dieser Welt der Verbote zu leben und mit den “Spielchen” der Regierung umzugehen. Gegenseitig weisen sie sich darauf hin, wenn die Sittenpolizei irgendwo patrouilliert, sodass das Kopftuch noch schnell richtig platziert werden kann. Und wenn ihr euch fragt, wie sich junge Leute denn überhaupt kennenlernen können, wenn es öffentlich nicht erlaubt ist, sich als unverheiratetes Paar zu zeigen, dann lasst euch gesagt sein, auch hierfür gibt es eine Lösung: Auto-Dating. Junge Frauen und Männer setzen sich in ihre Autos und fahren dieselbe Route. Kommen sie an Ampeln zum Stehen, können sie sich bei heruntergelassenem Fenster unterhalten und so kennenlernen. Not macht erfinderisch. Auch der streng verbotene Alkohol wird auf genauso verbotenen Partys konsumiert. Hinter verschlossenen Türen, auf abgelegenen Festen in der Wüste oder anderen Orten, die ständig geändert werden, um der Polizei das Finden und Verbieten so schwierig wie möglich zu machen.

Nichtsdestotrotz, zu keinem Zeitpunkt der Reise haben wir uns auf unserer Reise im Iran beobachtet oder einer Gefahr ausgesetzt gefühlt. Lediglich eine Situation, in der wir von einem Offizier kontrolliert wurden, der mit seinem Maschinengewehr auf all die Bereiche im Auto zeigte, die er kontrollieren wollte, hat uns etwas stutzig gemacht. Mit ihm hätten wir nicht in eine Diskussion geraten wollen und ihm Einsicht in alle Fächer und Unterlagen gewähren lassen, die er sich wünschte. In dieser noch weiter zugespitzten Situation, in der wir immerhin die Wahl haben, dieses Land zu umgehen, haben wir uns schließlich dazu entschieden, das abgelehnte Visum als eine Art Zeichen zu sehen. Zwar haben wir kurzzeitig darüber nachgedacht, dass Julian den Weg bis kurz an die türkische Grenze allein auf sich nimmt und Caro bis dorthin fliegt, letztendlich aber auch diesen Plan verworfen. Knapp 4.000 Kilometer unter Zeitdruck und in Abhängigkeit von einer weiteren Polizei-Eskorte durch Belutschistan allein zu fahren, war letztlich keine Option. Sich genau bei dem herausforderndsten Teil der Strecke zu trennen, hat sich nicht richtig und zu riskant angefühlt. Entweder beide oder keiner. Die Intuition hat letztlich gewonnen und wir bekommen mal wieder zu spüren, dass einen Plan zu haben zwar schön ist, in vielen Fällen aber auch von heute auf morgen umgeworfen werden kann. Wie man als Reiseteam damit umgeht, ist es letztlich, worauf es ankommt.

Gerne hätten wir den Süden des Landes noch bereist und noch mehr Zeit mit den Iranerinnen und Iranern verbracht, die wir kennengelernt haben. Den inspirierenden Menschen im Iran können wir nur wünschen, dass die Freiheit Landes nicht mehr weit entfernt ist und wir diesen eigentlich wunderbaren Ort irgendwann in der Zukunft nochmal in neuer Gestalt besuchen können.

Aber wie kommen wir stattdessen zurück?

Die einzige Alternative, wie wir nun zurück nach Deutschland kommen könnten, lag auf der Hand. Während wir einfach einen Rückflug nehmen könnten und innerhalb weniger Stunden vermutlich einen umgekehrten Kulturschock erwarten werden, gab es für das Auto nur den Seeweg. An diese Option hatten wir zu Beginn des Jahres zwar bereits gedacht, sie dann aber aufgrund der hohen Kosten schnell wieder verworfen. Im Oktober haben wir das Anfragen mehrerer Agenturen wieder auf unsere Agenda geschrieben und dabei Angebote von bis zu 8.000 Euro erhalten. Das sind Summen, die uns am Ende unserer Reise einen kurzen Schock verpasst haben. Aber mit ein wenig Rechercheaufwand und Verhandlungsgeschick fanden wir einen Anbieter mit etwas erschwinglicheren Preisen in Karatschi im Süden Pakistans. Nach einer weiteren Woche in Lahore, wo wir nach unserem Aufenthalt in Indien noch ein paar Freunde aus Pakistan trafen, ging es für uns also Richtung Arabischem Meer.

Karatschi steht mit knapp 20 Millionen Einwohnern auf Platz 16 der größten Städte der Welt und ist dabei flächenmäßig nicht größer als Berlin. Für uns war die Stadt nicht der schönste Fleck zum Beenden unserer Reise in Pakistan, jedoch unausweichlich. Vor allem der Weg dorthin, mit einer weiteren Strecke von 1.200 Kilometern, hat uns einen guten Überblick darüber gegeben, wie arm das Land eigentlich ist. Auch in Karatschi selbst trafen wir auf etliche Bettler, Müll sammelnde Kinder und Familien in Notunterkünften am Straßenrand. Noch dazu der beißende Geruch von Abwasser, Müll und Smog, der nicht auszuhalten war. An das Lüften im Apartment war stundenweise kaum zu denken.

Immerhin haben wir Freundschaft mit unserem netten Apartment-Nachbarn Ali geschlossen, der uns kurzerhand noch den Traum erfüllte, eine pakistanische Hochzeit zu besuchen. Mit knapp 250 geladenen Gästen zählte dieser zu einer „eher kleinen“ Hochzeit. Das ist Pakistan: wo man so unkompliziert, selbstverständlich und herzlich von Fremden aufgenommen wird und ganz schnell das Gefühl hat, dazuzugehören. Wie lange würde es bitte dauern, bis wir Deutsche einen fremden Pakistani mit auf deine deutsche Hochzeit schleppen? Undenkbar! Ali hat unsere letzten Tage in Pakistan unvergesslich gemacht und steht für uns stellvertretend für das große Herz der Menschen im Land.

Das Thema Verschiffung eines Fahrzeugs war für uns Neuland und es galt für uns zunächst, das gesamte Prozedere zu verstehen. Nachdem wir eine vertrauenswürdige Firma gefunden hatten, die den Defender für „nur“ den doppelten Preis als vor Corona verschiffen wollte, hielten wir ein paar Absprachen in deren Büro. Alles wirkte für pakistanische Verhältnisse organisiert und wir waren froh, in wenigen Tagen verschiffen zu können. Leider stellte sich aber relativ schnell heraus, dass es einen großen Unterschied zwischen einem pakistanischen und einem deutschen Versprechen gibt. Während ein deutsches Versprechen niemals gebrochen wird, schwingt beim pakistanischen immer noch ein kleines „Inshallah“ mit. Und selbst nach einem halben Jahr in muslimischen Ländern waren wir doch noch enttäuscht, als man uns das eigentlich schon zugesagte Datum zur Verschiffung absagte. Wir sind wohl noch immer naive Deutsche, die daran glauben, dass ein Wort zählt.

Nun hatten wir mittlerweile knapp eine Woche in Karatschi verbracht und waren keinen Schritt weiter. Und so nutzten wir noch einen weiteren Kontakt, um uns ein alternatives Angebot für eine schnellere Abwicklung einzuholen und waren erfolgreich. Nach nur einem Anruf und einem persönlichen Treffen am nächsten Tag schien es, als könnten wir das Auto am Folgetag in den Container fahren. Nachdem wir das Büro von Hamza und seinem Vater verlassen hatten, haben wir uns die Frage gestellt, ob unsere Eltern hier auch einen Vertrag abgeschlossen hätten.

Und Mitte November war es schließlich so weit und wir mussten uns schweren Herzens von unserem treuen Reisegefährten und Zuhause der letzten 1,5 Jahre verabschieden. Ungefähr 35 Tage wird er von jetzt an benötigen, um wieder deutschen Boden unter den Rädern zu haben. In der Zwischenzeit werden wir uns langsam wieder an ein wenig mehr Normalität und Ordnung gewöhnen und nutzen dafür ein paar Tage in Istanbul. Wir freuen uns in den nächsten Wochen auf ein Wiedersehen mit unseren Familien und Freunden und versuchen die Eindrücke langsam sacken zu lassen. Mit einem letzten Beitrag melden wir uns dann vermutlich im neuen Jahr, um euch davon zu berichten, wie es der Landy nach Deutschland geschafft hat und vielleicht auch, ob es schon ein Fazit zu unserer Reise gibt.

Wir hoffen, er wird nicht seekrank (und, dass er auch wirklich in Deutschland ankommt).

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Am Ziel angekommen.