Vorurteile über Bord geworfen.

Mit gewaltigen Gebirgsketten, unvergleichlicher Gastfreundschaft und spannenden Straßen, ist Pakistan der Traum eines jeden Abenteuerreisenden. Aber für diejenigen, die noch nie dort waren, ruft der Name "Pakistan" nicht gerade das nächste Reiseziel hervor. Das liegt vermutlich daran, dass Pakistan nicht nur für seine Landschaften und freundlichen Menschen bekannt ist, sondern auch für Terroranschläge und militärische Kampagnen gegen religiöse Extremisten.

Nach Jahren der Instabilität und gelegentlicher Gewalt in einigen Gebieten des Landes ist die Sicherheitslage in Pakistan heute stabiler und der größte Teil des Landes ist seit einigen Jahren für Besucher sicher. Abgesehen von einigen wenigen Gebieten, wie beispielsweise die Gegend Belutschistan sowie die Grenzregionen zu Afghanistan, ist das Reisen in Pakistan nicht gefährlicher als im benachbarten Indien, in das viele Menschen ohne jegliche Sorge reisen. Aber auch wenn der größte Teil des Landes sicher ist, gibt es immer noch einige Ereignisse und Orte, die man besser meidet. Es ist allerdings ziemlich einfach, diese Orte zu meiden, da sie für Ausländer nur schwer oder gar nicht ohne ein NOC (Non-Objection Certificate) zu erreichen sind, ein Genehmigungsformular, das bei der Polizei nur schwer zu bekommen ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung jedes Mal, wenn sie auch nur das geringste Unbehagen an der Anwesenheit von Ausländern an einem bestimmten Ort verspürt, eine Polizeieskorte abstellt. Das ist nicht gerade ideal für abenteuerlustige, unabhängige Touristen, aber auf jeden Fall eine weitere Schutzmaßnahme, die dem Land aus Respekt gegenüber akzeptiert werden sollte. Wir haben diese Schutzmaßnahmen oft zu spüren bekommen und die Polizisten der jeweiligen Regionen baten uns immer, an sicheren Orten wie Hotels oder Gästehäusern zu übernachten. Einen Grund hierfür haben wir selbst gar nicht immer verspürt, aber mit dem nötigen Hintergrundwissen nachvollziehen können. Die Berichterstattung über das Land erlaubt es schlicht nicht, nur einen Taschendiebstahl an die Presse kommen zu lassen. Trotzdem haben uns die freundlichen Polizisten immer gleich an Übernachtungsmöglichkeiten weiter vermittelt und sich um unser Wohlbefinden gekümmert.

Nach den Auswirkungen des 11. September litt Pakistan sehr und erlebte von 2009 bis 2012 einen Höhepunkt der Taliban-Aktivitäten. Die meisten Menschen im Westen haben von der Übernahme des Swat-Tals durch die Taliban gehört, und es gab zahlreiche weitere Anschläge in anderen Gebieten. Im Jahr 2014 startete der ISI, der Geheimdienst des Landes, eine erfolgreiche Anti-Terror-Kampagne, die Pakistan enorm stabilisierte. Das Pakistan, das bis dahin aus den Nachrichten bekannt war, ist also absolut nicht das Pakistan, das in der heutigen Realität existiert. Heutzutage sind willkürliche Anschläge selten und ereignen sich überwiegend in weit entfernten Gebieten, die von Touristen ohnehin nicht besucht werden könnten. Auch die Touristen selbst sind heute kein Ziel terroristischer Anschläge mehr, wie es aus der Vergangenheit immer mal wieder berichtet wurde.

Die Geschichte Pakistans mag also bei dem einen oder anderen Angst oder Sorge auslösen, aber heute ist das Land stabil und erlebt nicht ohne Grund einen großen Tourismusboom im Norden. Das Wichtigste ist unserer Erfahrung nach, dass man mit Offenheit und ohne festgefahrene Vorurteile nach Pakistan reist. Auch, wenn uns selbst das zu Beginn manchmal schwergefallen ist. Die pakistanischen Menschen sind äußerst gastfreundlich und werden dafür sorgen, dass alle falschen Vorstellungen, die vielleicht noch über das Land vorhanden sind, zu Recht geändert werden. Mit ein wenig Recherche und Planung und einer gesunden Abenteuerlust kann eine Reise nach Pakistan dafür sorgen, sich von etwas überzeugen zu lassen, was zuvor nicht vorstellbar war.

Unser letzter Stopp, bevor wir uns auf den Weg nach Indien machten, war ein Besuch bei Faridullahs Familie in der Grenzregion zu Afghanistan. Und dieses Treffen hat uns stellvertretend für den gesamten Aufenthalt in Pakistan nochmal verdeutlicht, wie inspirierend dieses Land ist. Faridullah haben wir schon in unserem zweiten Pakistan-Blog erwähnt. Vor vielen Jahren hat er zwei Jahre in Julians Familie gelebt und uns für einen unserer letzten Tage in Pakistan zur Familie seines Onkels in der Nähe von Peschawar, nahe der afghanischen Grenze, eingeladen. Dort angekommen, führte er uns hoch ins Gästezimmer, das sowohl für pakistanische als auch afghanische Familien typisch ist. In dieses werden alle Gäste geleitet, die keine familiäre oder eng freundschaftliche Beziehungen zur Familie haben und keinen Kontakt zu den Frauen des Hauses bekommen sollen. Dort angekommen, erwartete uns ein Festmahl der afghanischen Küche. Die Familie von Faridullahs Onkel ist vor vielen Jahren nach Pakistan geflüchtet, um den auch damalig schwierigen Gegebenheiten zu entfliehen und der Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Heute wohnen in dem Mehrfamilienhaus mehr als 20 Personen unter einem Dach.

Wir starteten mit dem leckeren Essen, das aus Salaten, einem Reis- und einem Nudelgericht, Hühnchen und Okra (einem lokalen Gemüse) besteht und Faridullah weihte uns etwas in die afghanisch-pakistanische Kultur ein. Währenddessen strömten immer wieder kleine Kinder in den Raum, die natürlich ganz interessiert an den fremd aussehenden Menschen waren.

Nach dem Essen verschwand Faridullah kurz aus dem Gästezimmer, um uns die in Afghanistan typischen Trachten zu überreichen. Stolz erzählte er uns, dass er diese in seiner Heimat Dschalalabad gekauft hat und sich freuen würde, wenn wir sie anprobieren würden. Diesen Wunsch haben wir ihm natürlich mit großer Freude erfüllt.

Das sind Julian und Faridullah im Jahr 2004:

Schließlich bot die Familie Caro, an, hinunter zu den Frauen zu gehen. Sowohl in der pakistanischen als auch in der afghanischen Kultur ist es üblich, dass Männer und Frauen als Gäste voneinander getrennt essen und sich aufhalten. Frauen jeder Kultur ist es - anders als Männern - jedoch meistens erlaubt, die privaten Räume der Familie zu betreten. Und da es uns bislang besonders schwierig erschien, mit den traditionell lebenden Frauen im Land in Kontakt zu kommen, habe ich mich natürlich riesig über diese Einladung gefreut. Als ich die Treppe hinunter in die privaten Räume gebracht wurde, erwarteten mich ungefähr zehn Frauen und weitere zehn Kinder, die mich mit Konfetti und lauten Gesängen empfingen. Sie hatten sich auf meinen Geburtstag vorbereitet, der zwei Tage später stattfand. Eine Tafel mit Torte und Tee hatten die Frauen des Hauses liebevoll vorbereitet, um mich als Gast zu begrüßen. Ich war total überwältigt von so viel Liebe, Freude und Überraschung und wurde von jeder Frau herzlich umarmt. Gleich zerrten mich die jüngeren Frauen in den Raum, um den Kuchen zu verteilen und mir anschließend die Hände mit “Mehndi”, einer kunstvollen Körperbemalung aus Henna, zu verzieren.

Zwar erfolgte die Verständigung nur mit ganz gebrochenem Englisch und Zeichensprache, aber wir haben uns irgendwie auf einer Wellenlänge gefühlt. Dass hinter den in Pakistan, aber auch Afghanistan sehr verschleierten Frauen, die ich bislang nur auf der Straße oder auf den Feldern laufen sah, so inspirierende Wesen stecken, habe ich zwar geahnt, aber so nun endlich auch erfahren. Sogar die für die Frauen dieser Region übliche Burka durfte ich anprobieren und kann mir nur schwer vorstellen, mit einer solchen Verschleierung auf die Straße gehen zu müssen, damit mich andere Männer nicht sehen können. Ich wage zu bezweifeln, dass ich den Weg zu meinem Ziel und zurück damit finden würde, da das „Visier“ weniger Durchblick bietet als ein eng gewebtes Fliegengitter. Trotzdem machten sogar die Frauen ihre Späße mit diesem sehr spärlichen Kleidungsstück und erschreckten mich mit der Nachahmung eines Gespenstes, über die ich wirklich sehr lachen musste. Der Verbund zwischen den Frauen und Kindern war sehr eng und ich konnte mir leicht vorstellen, wie schön es sein musste, in einer solchen Gemeinschaft zu leben. Auch, wenn es wirklich sehr viele Menschen waren, die unter einem Dach leben und kaum Privatsphäre haben, wie wir es aus Deutschland kennen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es den Familien an irgendetwas fehlte, auch wenn sie im Vergleich zu uns nur das Nötigste zum Überleben haben.

Aus Respekt der Tradition und Kultur gegenüber gibt es von diesem besonderen Treffen nur Fotos von den Männern, Kindern und mir.

Nach einer herzlichen Verabschiedung von den Frauen, die allesamt sehr an einem Foto von Julian interessiert waren, ihm aber unter keinen Umständen unter die Augen treten wollten, machten wir uns wieder zurück auf den Weg nach Islamabad. Die Türen im Auto zugezogen schauen wir uns an und schüttelten mit dem Kopf über die verrückten Ereignissen, die uns mal wieder widerfahren sind. So weit weg von zu Hause gibt es zwar viele Unterschiede, aber die Menschen selbst sind doch meistens sehr ähnlich.

Spätestens mit den letzten Stunden in Pakistan sind all unsere Vorurteile über Bord geworfen und wir müssen uns neu sortieren. In keinem anderen Land hatten wir so enge und intensive Kontakte zu lokalen Menschen, so tiefgründige Gespräche über die Missverständnisse sowie atemberaubende Naturerlebnisse. Es ist gar nicht so einfach für andere Menschen zu beschreiben, wie es hier ist, ohne dass sie hier gewesen sind. Denn viele Freunde oder Familienangehörige verbinden mit diesem Land immer noch Angst und Terror. Zu keinem Zeitpunkt haben wir uns in Pakistan nicht willkommen gefühlt, in Gefahr oder in unangenehmen Situationen befunden. Vielmehr wurden wir überhäuft mit Situationen überdimensionaler Gastfreundschaft, Freude und Herzlichkeit.

Wir haben uns vom Gegenteil überzeugen lassen.

„Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“

– Marie Curie

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Am Ziel angekommen.

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Bei den Königen der Berge.