Eine Liebeserklärung an die Türkei.

Nach vier wunderschönen und ereignisreichen Tagen in der Region um Kappadokien ging es für uns in Richtung Süden. Unsere nächsten drei Reiseziele nahe der syrischen Grenze stehen üblicherweise für europäische Touristen nicht auf der Agenda, aber nachdem uns nahezu alle Einheimischen zu einem Abstecher in diese Gegend geraten haben, konnten wir diesen Teil des Landes nicht auslassen.

Zunächst zog es uns nach Gaziantep, auch unter dem kurzen Namen “Antep” bekannt. Sie ist mit etwas mehr als zwei Millionen Einwohnern die sechstgrößte Stadt der Türkei. Im südöstlichen Anatolien gelegen zählt diese Stadt eher zu konservativ geprägten Türkei und gilt insgeheim als die Delikatessen-Hauptstadt. Mit leerem Magen machten wir uns in den frühen aber noch kühlen Morgenstunden auf den Weg in die Stadt, um ein typisch türkisches Frühstück zu suchen. Die Frühstücksplatten mit Früchten, Gemüse, Käse, Wurst, Menemen (würziges Rührei), Tee, Honig und vielem mehr sind einfach ein perfekter Start in der Tag und reichen mindestens bis zu den Abendstunden aus.

Beim Schlendern durch die Gassen von Gaziantep fallen uns die ersten Unterschiede zu den bisherigen Städten an der Westküste des Landes auf. Die Märkte sind viel mehr auf die Bedürfnisse der örtlichen Bewohner ausgelegt, es gibt viele Lebensmittel und Delikatessen zu kaufen, weniger Fake-Markenprodukte oder Souvenirs. Auch handwerkliche Stände, vom Schweißer über den Schreiner hin zum Schmied finden sich allerlei Arbeiter auf dem Markt, bei denen das Handwerker-Herz höher schlägt. Nachdem wir das laut Einheimischen beste Baklava des Landes bei Koçak Baklava probiert haben, ging es auf der Strecke weiter Richtung Şanlıurfa.

Auch diese Zwei-Millionen-Stadt, die von den Einheimischen liebevoll “Urfa” genannt wird, ist vor allem bei Touristen beliebt, die religiöse Pilgerstätten besuchen möchten. Urfa wurde in letzter Minute zu unserer Türkei-Reise hinzugefügt. Ein älterer Herr, dem wir auf einer Raststätte dabei halfen, seinen Motor zu überbrücken, informierte uns, dass sich die älteste aufgezeichnete menschliche Siedlung direkt außerhalb von Şanlıurfa befindet. Und wir dachten uns, warum nicht ein paar Tage dort in unsere Reisepläne aufnehmen? Diese Art von Flexibilität ist einer der Vorteile unserer Reise. Wir können einfach dorthin gehen, wohin der Wind uns trägt. Şanlıurfa ist eine äußerst wichtige Stadt für die Anhänger der abrahamitischen Religionen. Sowohl das Christentum als auch der Islam und das Judentum betrachten Abraham als den ersten Propheten. Es heißt, dass Abraham in Urfa geboren wurde, lebte und starb.

Leider hat die Osttürkei den Ruf, weniger stabil zu sein als der viel besuchte westliche Teil des Landes. Aufgrund der komplizierten Situation mit den Kurden, der Nähe zu Syrien, dem Irak und dem Iran gibt es eine allgemeine Besorgnis, sich in die umliegenden Gebiete zu wagen. Hinzu kommt der konservativere islamische Charakter der Osttürkei, der häufig eher gegen die Offenheit an der Westküste eingetauscht wird. Wir können nicht davon berichten, dass wir uns in dieser Gegend unwohl gefühlt haben, trotzdem ist uns eine höhere Präsenz von Polizei und Militär sowie deren Checkpoints aufgefallen. In der Stadt angekommen, trafen wir bereits auf weit mehr als 35 Grad, weshalb wir uns dazu entschlossen, die Stadt im Schneckentempo zu erkunden. Und wie es der Zufall so wollten, trafen wir gleich vor der zentralen Moschee der Stadt auf einen in der Schweiz lebenden Türken, der ursprünglich in der Stadt großgeworden ist. Gemeinsam mit seiner italienischen Frau wunderte er sich, was deutsche Touristen in dieser Region der Türkei machten und wir kamen bei einem Tee gleich ins Gespräch. Und wieder wurden wir auf eine private Führung eingeladen, die es uns ermöglichte, mit den dort lebenden Menschen auf dem Markt ins Gespräch zu kommen. Insgesamt zwei Stunden lang nahmen sich die beiden die Zeit, um uns die Stadt zu zeigen und auf das traditionellste Gericht “Çiğ Köfte” (aus Bulgur und Linsen geformte, würzige Kaltspeise) einzuladen. Immer wieder sind wir überwältigt davon, wie selbstverständlich es für die türkische Kultur ist, ihre Gäste willkommen zu heißen und sich Zeit für sie zu nehmen. Was einem in Deutschland niemals passieren würde, ist hier in Leib und Seele verankert.

Die Temperaturen in der Stadt machten uns langsam zu schaffen. An Schlaf war erst weit nach zehn Uhr am Abend zu denken, wenn die Temperatur der Stadt langsam sank und der Wind unser Zelt kalt pustete. Auch der Sonnenaufgang ließ uns früh aufwachen und wir steuerten die oben bereits genannte älteste aufgezeichnete Siedlung an: Gobekli Tepe. Es ist ein kürzlich entdecktes, 11.000 Jahre altes steinzeitliches Heiligtum. Die Pyramiden von Gizeh sind etwa 4.500 Jahre alt, Gobekli Tepe ist also mehr als doppelt so alt wie die Pyramiden.

Bevor dieser Ort entdeckt wurde, dachte man, dass die Menschen in dieser Periode der Menschheit Jäger und Sammler waren. Man glaubte auch, dass sich Gesellschaften und Kulturen erst nach der Erfindung der modernen Landwirtschaft entwickelten, die es den Menschen ermöglichte, an Ort und Stelle zu bleiben und eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Gobekli Tepe widerlegte all diese Annahmen. Die Ausmaße der Anlage lassen vermuten, dass für seinen Bau Organisation, eine soziale Hierarchie und eine Versorgung mit Ressourcen erforderlich waren. Diese Elemente sind Merkmale von Gemeinschaft, Kultur und Gesellschaft. Es war also die Religion, die die erste Gemeinschaft zusammenführte, nicht die Landwirtschaft. Und die Religion war die erste Instanz, die zur Entwicklung der modernen Zivilisation, wie wir sie heute kennen, beigetragen hat. Deshalb nennt man Gobekli Tepe auch den Nullpunkt der Menschheitsgeschichte! Normalerweise eilen wir nicht gleich jeder archäologischen Stätte hinterher, aber dieser Ort hat uns wirklich beeindruckt. Die Anlage beginnt mit einem interaktiven Museum , das die Entstehungsgeschichte der frühen Menschen in diesem Gebiet der Türkei erklärt. Es gibt einige antike Artefakte und interessante Ausstellungen, die helfen, die Bedeutung von Gobekli Tepe zu verstehen, bevor man sich auf den Weg zur archäologischen Stätte macht, an der die antiken Strukturen und gut erhaltenen Gravuren besichtigt werden können. Die Anlage ist relativ klein (bisher sind lediglich 1,5% ausgegraben) und beeindruckt vor allem durch ihren historischen Kontext, nicht durch die alleinige Ausgrabung.

Unsere letzte Etappe auf unserem Städtetrip im Süden der Türkei bildete Mardin. Die historische Stadt wird für ihre sandfarbenen Gebäude geschätzt, die sich perfekt in die karge Landschaft einfügen. Und obwohl die Touristenströme zunehmen, regt ein Abstecher durch die kopfsteingepflasterten Gassen der Stadt die Fantasie an, wie das Leben in dieser bezaubernden Stadt früher aussah. Besonders der Ausblick, der am Ende des Horizonts bereits Syrien aufschimmern lässt, hat uns sehr beeindruckt. Mardin, das auf einem Hügel mit Blick auf die weiten Ebenen erbaut wurde, war ein strategisches Handelszentrum für die verschiedenen Zivilisationen, die die Stadt kontrollierten. Da die verschiedenen Kulturgruppen der Region miteinander Handel trieben und zusammenlebten, ist die Stadt seit Jahrhunderten dafür bekannt, dass es gegenüber verschiedenen Religionen und Ethnien tolerant ist. Die Bürger mit unterschiedlichem ethnischem Hintergrund haben jahrhundertelang harmonisch zusammengelebt. Gemeinsam mit Javi und Gosia, die mit ihren Motorrädern von Spanien nach Australien fahren, ließen wir den Abend von den Dächern Mardins bei typischem Essen der Region ausklingen.

Langsam schlagen wir die Richtung zur nächsten Grenze ein und begeben uns auf den Weg an das schwarze Meer. Und wir hoffen darauf, auf den angekündigten Regen in der Region zu treffen. Nach mehr als sechs Wochen ohne Regen können wir eine Abkühlung und der Defender eine natürliche Dusche gebrauchen. Die Landschaft auf dem Weg ändert sich schnell wieder zu einer bergigen Region und wir erblicken die letzten Schneereste auf den über 3.000 Meter hohen Bergen. Auf den Bergpässen kann auch mal ein Reifen drauf gehen. Aber zum Glück nicht unserer. Im Rückspiegel sehen wir, wie sich uns zwei Polizei-Motorräder nähern. Erst als sie ihre Sirene laut ertönen ließen, blieben wir stehen. Mit Händen und Füßen versuchten sie uns etwas zu erklären, was wir zunächst nicht verstanden, bis wir einen platten Reifen am Hinterrad bemerkten. Schnell konnten wir ihnen helfen, zumindest um bis ins nächste Dorf weiterfahren zu können. Und gleich hatten wir die nächste Einladung auf dem Tisch. Man erwartete uns zu Tee und Abendessen auf der Polizeistation. Mit gefülltem Magen, vielen weiteren Empfehlungen und von der Polizei gesegnet ging über die sogenannte “kleine Schweiz” in Uzungöl anschließend weiter zu unserer letzten Station in der Türkei.

Um zum Ende unserer Reise dem türkischen Çay auf die Spur zu kommen, besuchten wir vor Überquerung der georgischen Grenze noch die Teeregion um Rize an der Schwarzmeerküste. Da es hier an mehr als 200 Tagen im Jahr regnet, gibt es hier die idealen Bedingungen, um Tee anzupflanzen. Geerntet werden kann hier insgesamt drei mal im Jahr in der Zeit von März bis September. Es handelt sich also um ein saisonales Geschäft, da der Winter in dieser Region kalt ist und durchaus auch viel Schnee fallen kann. Durch einen Zufall konnten wir eine der privaten Teefabriken besichtigen und uns die einzelnen Vorgänge erklären lassen - und das sogar mit deutschem Übersetzer, der uns mal wieder auf der Straße angesprochen hat. Von den Teebauern aus, werden die Pflanzen zur Fabrik im LKW transportiert und danach in einzelnen Prozessen sortiert, getrocknet, geschnitten und rationiert. Insgesamt 800 Tonnen werden in dieser Fabrik pro Tag produziert, was sie laut eigener Aussage zur größten privaten Teefabrik der Welt macht. Vom Geschmack des Tees konnten wir uns am Ende noch selbst überzeugen und haben sogar ein Jobangebot erhalten. Für insgesamt 200 Türkische Lira hätten wir direkt am nächsten Tag anfangen können. Das sind umgerechnet ungefähr 11€ pro Tag für eine 12-Stunden-Schicht. Wir haben dieses Angebot noch eine Nacht “überschlafen” und uns dann doch dagegen entschieden ( ;-) ). Nichtsdestotrotz, einen Blick in die Produktion des Nationalgetränk der Türkei zu werfen war wirklich sehr spannend. Und die Tradition des Tee Trinkens werden wir weiterhin in unserem Alltag etablieren.

Es wird vorerst Zeit, sich von der Türkei zu verabschieden und wir blicken zurück auf zwei Monate in einem Land, was uns so überrascht hat wie keines zuvor. Von einem Transitland hat sich die Türkei zu dem längsten Aufenthalt entwickelt, den wir bislang auf unserer Reise vorgenommen haben. Wir haben uns verliebt in die Natur, das Essen, die Gelassenheit, vor allem jedoch in die Menschen. Noch immer können wir einfach nicht glauben, wie groß die Nächstenliebe in diesem Land ist. Man gibt hier ohne zu nehmen und zwar obwohl die Menschen hier meist sehr einfach leben und allgemein mit vielen widrigen Umständen zu kämpfen haben. Wir nehmen die Türkei aus der Schublade, in der sie ganz tief irgendwo zwischen All-Inclusive-Urlauben und Dönerspießen gesteckt hat und präsentieren sie stolz als eines unserer Lieblings-Reiseländer.

Route in der Türkei, Stand 07.06.22. Quelle: Gaia GPS / MapBox / Open Street Map.

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Zwischen Großem und Kleinem Kaukasus.

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Abwarten und Tee trinken.