Abwarten und Tee trinken.

Viel Zeit ist vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal gemeldet haben. Das liegt daran, dass wir einen großen Teil des vergangenen Monats mit Warten verbracht haben. Warten auf einen zweiten Reisepass, Klären von Visa-Angelegenheiten bezüglich der kommenden Länder und das Organisieren einer Tollwut-Impfung. Hiermit haben wir insgesamt mehr als drei Wochen verbracht. Was in Deutschland im Eilverfahren vermutlich nur wenige Tage in Anspruch nehmen würde, kann im Ausland schon mal vier mal so lange dauern. Auch solche Situationen gehören zu einer längeren Reise dazu und erfordern Geduld und Flexibilität. Istanbul haben wir nach knapp zwei Wochen verlassen, um uns kurz darauf auf den Weg nach Izmir an der Westküste zu machen. Von hier aus konnten wir einerseits einige Sehenswürdigkeiten erreichen und gleichzeitig mit der Deutschen Botschaft und örtlichen Ärzten kommunizieren, um unsere Angelegenheiten zu klären.

Dass uns hier nicht langweilig werden würde, war klar, nachdem uns eine ehemalige Arbeitskollegin aus Berlin ihren Besuch ankündigte. Kurzerhand entschied sich Irem, einen Heimatbesuch bei ihrer Mutter in Izmir mit einem Wiedersehen mit uns zu verbinden. Glück für uns, denn es stand uns ein viertägiger Crashkurs in der Türkei bevor - quasi “Türkisch für Anfänger”. Von typisch türkischem Frühstück über Kaffeesatz-Prophezeiungen und literweise Çay bis hin zu einem nützlichen Vokabular für unsere nächsten Wochen. Irem und ihre Mutter Gülseren haben keine Information ausgelassen, uns in das Leben der Türkei einzuweihen. Der Beginn von unseren Erfahrungen der Türkei als gastfreundlichstes Land, das wir bisher kennengelernt haben.

Und da wir einerseits ohnehin noch in der Gegend bleiben mussten, um auf unsere Dokumente und Impfungen zu warten und es andererseits so überraschend gut an der Westküste gefallen hat, entschloss sich auch Julians Mutter Susanne, uns für wenige Tage in Çeşme, einem kleinen Urlaubsort am ägäischen Meer zu besuchen. In einer schönen Wohnung mit Meerblick haben wir gemeinsam die Seele baumeln lassen und die Umgebung erkundet. Wir waren sehr überrascht, dass es auch kleinere Orte mit vielen Boutique-Hotels und einladenden Restaurants gab, die alles andere darstellten, als wir uns einen türkischen Urlaubsort vorgestellt hatten. Zugegebenermaßen sind die Orte um Izmir aber auch eher die Orte, an denen die Türken selbst ihre Familienurlaube verbringen. Mit unserem von Irem und ihrer Mutter vermittelten Kenntnissen konnten wir jetzt natürlich prahlen und genossen die gemeinsame Zeit nach knapp einem Jahr, in dem wir uns nicht gesehen haben. Da gibt es natürlich vieles zu erzählen. So viel, dass wir sogar noch zwei Tage angehängt haben.

Die Tagen vergingen wie im Flug, bevor wir uns entlang des Butterfly Valleys, der blauen Lagune in Ölüdeniz und dem Örtchen Kaş nach Antalya aufmachten.

Ursprünglich hatten wir vor, auf dem direktem Weg durch die Türkei zu fahren, um vor den heißen Sommermonaten im Iran zu sein. Die unglaubliche Gastfreundschaft der Türken und die Schönheit des Landes lässt uns aber bereits jetzt viele Wochen verweilen. So lange waren wir bislang noch in keinem Land. Und wie schön ist es, dass sich Pläne manchmal so unverhofft ändern können und Länder aus Schubladen geholt werden, in denen sie zuvor ganz tief gesteckt haben. Nur an einem Ort trafen alle Klischees, von riesigen Hotelanlagen für Strandurlauber bis zu aufdringlichen Straßenverkäufern, zu. Antalya.

Das nächste Highlight für uns stand auf der Agenda und die geographische Lage muss unserer Meinung nach einen Grund haben. Kappadokien ist eines der bekanntesten Reiseziele des Landes. Aber keine Stadt, kein Ort und keine Provinz trägt den Namen Kappadokien, sondern er ist der historische Name der Region in der Zentraltürkei. Vor über 60 Millionen Jahren wurde die Landschaft durch vulkanische Aktivitäten geformt und das weiche Vulkangestein schuf die geologischen Wunder von heute. Seit Tausenden von Jahren leben Zivilisationen in Höhlen, die in das Vulkangestein geschlagen wurden. Für die hier lebenden Zivilisationen waren die Höhlen damit einerseits ein Gemeinschaftsort und andererseits Schutzort zu Kriegszeiten. Heute zählt Kappadokien zum UNESO-Weltkulturerbe. Bei Touristen ist dieser Ort jedoch vor allem deshalb so bekannt, weil an ungefähr 300 Tagen im Jahr bis zu 200 Heißluftballons in den Morgenstunden in dieser spektakulären Umgebung aufsteigen. Die Umgebung gibt aber weitaus mehr her, so kann man beispielsweise in der magischen Landschaft von Valley zu Valley wandern, Reit- oder Quadtouren buchen oder ganz einfach die Landschaft genießen.

Von anderen Reisenden, die wir im vergangenen Jahr in Albanien kennengelernt haben, wurde uns bereits ein toller Stellplatz empfohlen, den wir gleich anfuhren. Von hier aus sollten wir am nächsten Morgen den perfekten Ausblick auf die startenden Ballons haben. Um am nächsten Morgen also früh auf den Beinen sein zu können, gingen wir mit dem Sonnenuntergang schlafen. Nachdem uns der Muezzin bereits gegen vier Uhr morgens weckte, hörten wir am Boden die ersten Aufbauarbeiten beginnen. Gegen kurz vor fünf starteten die ersten Brenner und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ungefähr 80 Ballons konnten wir am Boden aufleuchten sehen. Insgesamt waren später mehr als 150 Stück in der Luft. Ein unglaubliches Bild.

Wir hatten zwar schon damit gerechnet, dass dieser Moment besonders sein muss, aber dass er dann wirklich so besonders war - das haben wir nicht erwartet. Wir entschlossen uns daher, dieses Spektakel noch zwei weitere Tage mitzuerleben und erkundeten am selben Tag noch die Umgebung.

Überall in dieser verrückten Landschaft haben die Einheimischen kleinere Cafés oder “Saftläden” gebaut, an denen man sich zwischendurch erfrischen kann. Wir genießen es total, dass wir seit der Türkei immer auch mal wieder auswärts essen oder trinken können, ohne besonders tief ins Portemonnaie greifen zu müssen. Da die Währung derzeit eine besonders hohe Inflation erfährt, ist es aus deutscher Sicht während unserer Zeit hier besonders günstig gewesen. Beispielsweise bezahlten wir hier für zwei vollwertige Mahlzeiten meist nicht mehr als gesamt sechs Euro. Die Dieselpreise liegen bei derzeit 1,40 Euro/Liter. Dass dies für die türkische Bevölkerung eine katastrophale Auswirkung hat, bringt aber selbstverständlich einen faden Beigeschmack mit sich. Und trotzdem zögert hier niemand, die Touristen auf ein Glas Tee oder sogar eine Mahlzeit einzuladen. Wir fühlen uns an jedem Ort, an dem wir waren, äußerst herzlich willkommen und kommen gleichzeitig meist direkt ins Gespräch. Selten in gebrochenem Englisch oder Deutsch, in der Regel mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen, die die Türken hier alle bereits auf ihren Mobiltelefonen eingerichtet haben. Nicht selten saßen wir plötzlich am Tisch einer türkischen Familie. Begrüßt wird man dann meistens mit den Worten: “Çay?” (also: möchtest du Tee?). So viel Tee, wie wir hier schon bei Frisören, Mechanikern, Tankstellen oder gastfreundlichen Türken bekommen haben, werden wir in unserem Leben nicht mehr weitergeben können.

Bevor es für uns weiter in den Süden an drei besondere Städte nahe der syrischen Grenze ging, ließen wir den Defender nochmal bei einem lokalen Mechaniker durchchecken. Da das Auto auf dieser Reise wohl noch weitere 20.000 km zu fahren hat, war die Türkei der ideale Ort hierfür. Hakan, der uns von anderen Defender Besitzern für genau diesen Check-Up empfohlen wurde, war unser eigentliches Highlight von Kappadokien. Insgesamt zwei Tage nahm er sich für uns Zeit, um einerseits, einige Teile am Auto auszutauschen oder einen Ölwechsel vorzunehmen. Andererseits ließ er sich es nicht nehmen, nochmal eine ausgiebige Probefahrt mit uns durch Kappadokien zu machen, um uns seine Heimat zu zeigen und das Auto auf Herz und Nieren zu prüfen. Er hat uns an Stellen dieser verwinkelten Landschaft gebracht, an die wir ohne ihn niemals gekommen wären.

Gemeinsam sind wir durch die riesigen Höhlendörfer geklettert und ließen uns erklären, wie die einzelnen Bereiche früher genutzt wurden. Da Hakan neben seinem Job in der eigenen Werkstatt jeden Morgen noch dafür zuständig ist, die Heißluftballons einer Firma in die Luft zu bringen, verabredeten wir uns für ein zweites Treffen am nächsten Morgen um fünf Uhr. So konnten wir auch mal hinter die Kulissen schauen. Jeden morgen um drei Uhr trifft er sich mit seiner vierköpfigen Crew, bekommt den Startplatz je nach Windrichtung kurzfristig zugewiesen und fährt dann los. Ungefähr zwei Stunden benötigen sie dann, um den Heißluftballon startklar zu machen und die 20-30 Passagiere an Bord zu bringen. Geht der Ballon dann gegen 5 Uhr in die Luft, verfolgt Hakan diesen mit seinem Defender und steht im Funkkontakt zum Piloten. Seine Hauptaufgabe ist dabei, diesem durchzugeben, ob über seinem Ballon “Gegenverkehr” ist oder ob er aufsteigen kann. Denn dies ist das einzige, was der Pilot aus dem Ballon nicht überblicken kann und im Zweifel zu einem schweren Unfall führen könnte. Nach ungefähr einer Stunde Flugfahrt wird dann ein möglicher Landeplatz auserkoren. Danach muss alles schnell gehen. Vor allem müssen die einzelnen Wege von den Verantwortlichen im Schlaf gekannt werden, um den Korb des Ballons rechtzeitig wieder auf dem Anhänger landen zu lassen.

Mit gemischten Gefühlen fuhren wir nach dem Abschied von Hakan weiter. Denn was für viele Touristen hier ein unvergesslicher kurzer Moment im Heißluftballon ist, ist für die lokalen Menschen hier Alltag. Ohne seine zwei Jobs käme er nicht zurecht, sagt er. Vielleicht sehen wir uns auf unserem möglichen Rückweg wieder. Wir würden uns jedenfalls freuen.

Route in der Türkei, Stand 27.05.22. Quelle: Gaia GPS / MapBox / Open Street Map.

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Eine Liebeserklärung an die Türkei.

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