Auf Durchreise.

Vollgepackt mit Proviant von unseren netten Gastgebern begaben wir uns zurück auf den Weg nach Bosnien und Herzegowina. Nach einer vierstündigen Autofahrt erreichten wir das Dinarische Gebirge und den Fuß des Maglić. Mit einer Höhe von 2.388m bildet er an der höchsten Stelle die Grenze zu Montenegro und ist ein Magnet für Sportbegeisterte. Um am frühen Morgen unsere bislang anspruchsvollste Wanderung zu starten, schlugen wir unsere Zelte am Fuße des Berges und damit dem Startpunkt der Strecke auf.

Um sieben Uhr morgens brachen wir auf, denn man prophezeite uns einen dreistündigen Aufstieg bis zum Gipfel, gefolgt von einem dreistündigen Abstieg bis zum See Trnovačko und weiteren zwei Stunden bis zurück zum Startpunkt. Bescheiden planten wir also einen frühen Start ein, um nach unserer Rückkehr noch ein paar Stunden Richtung Norden weiterfahren zu können. Mit großem Respekt gingen wir unsere ersten Schritte hinauf, um hoffentlich gegen 10 Uhr den Gipfel zu erreichen. Die größte Anstrengung der Wanderung erforderte das erste Drittel - der Aufstieg von insgesamt 1.400 Höhenmetern. Zunächst bahnte sich der Weg über schmale Schotterwege, es folgten einige Meter durch den Wald und ein Aufstieg entlang unbefestigter Steinpfade. Nach ungefähr einer Stunde erreichten wir den eigentlichen Felsen, an dem wir uns mithilfe natürlicher Treppenstufen hochzogen. Mit den Höhenmetern nahm auch der Anspruch zu und hin und wieder redeten wir uns Mut zu, sicher „bald da zu sein“. Die teilweise gerissenen Stahlseile, die an den Bergwänden befestigt waren, halfen zwar an der einen oder anderen Stelle, das hochziehen zu vereinfachen, trugen aber nicht besonders zum Wohlbefinden in schwindelerregender Höhe bei. Ohnehin war der eigentliche Wander- bzw. Kletterpfad nur mit vorausschauender Sicht erkennbar. Einheimische teilten uns zuvor noch mit, dass es ab einem gewissen Punkt der Wanderung gefährlicher sei, wieder umzukehren statt einfach weiter zu klettern. Wir waren uns beide sicher, diesen Punkt längst überschritten zu haben und so arbeiteten wir uns weiter vor und erreichten genau zwei Stunden und damit in einer Stunde weniger als von den entspannten Bosniaken vorausgesagt den Gipfel des Maglić um 9 Uhr morgens.

Und klar, wen trifft man da oben? Vier deutsche Wanderer unseren Alters aus Süd- und Ostdeutschland. Zwischendurch müssen sich ja auch die Klischees unserer Frühaufsteher-Kultur bestätigen. Der Ausblick vom Gipfel des höchsten Berges war dann so atemberaubend, wie es uns zuvor versprochen wurde. Die so gerade über dem Berg schwebende Sonne strahlte uns ins Gesicht und es bot sich ein traumhafter Blick auf den Trnovačko See, der gleichzeitig unser nächstes Etappenziel darstellte. Nach einer kurzen Pause und kurzem Austausch mit den Gleichgesinnten begaben wir uns auf den nächsten Streckenabschnitt zum See, der sich übrigens bereits wieder auf Boden Montenegros befindet. Dieser Teil war glücklicherweise nur halb so nervenaufreibend, jedoch aufgrund des rutschigen Untergrundes etwas nervig. Nun gut, irgendwie müssen wir ja herunterkommen. Nach weiteren drei Stunden eines Wechselspiels aus weitergehen, abrutschen und hinfallen erreichten wir das zweite Drittel der Wanderung. Am Trnovacko See angekommen war unsere Kraft fast aufgebraucht und wir nutzten die Gelegenheit, kurz Energie aufzutanken. Die letzten zwei Stunden bis zu unserem Auto waren zwar am wenigsten anspruchsvoll, aufgrund unserer sich zu Ende neigender Energie wohl aber trotzdem die anstrengendsten. Umso mehr haben wir uns dann gefreut, als wir das Auto aus der Ferne erblickten. Mit schweren Beinen und der Angst vor einem uns erwartenden Muskelkater machten wir uns dann gegen Nachmittag tatsächlich noch auf den Weg in Richtung Sarajevo. 


Um die Stadt erneut, aber bei diesem Mal in Ruhe erleben zu können, buchten wir uns eine kleine Wohnung mitten in der Stadt. Da wir bei unserem ersten Kurz-Aufenthalt leider keine Zeit hatten, den berühmten „Tunnel of Hope“ zu besichtigen, stand dieser zuallererst auf unserer Liste. Während der Belagerung Sarajevos 1992-1995 bildete dieser von Einheimischen gebaute 800m lange Tunnel eine unterirdische Verbindung unter der Start- und Landebahn des Flughafens. Von hieraus konnten die Einwohner Sarajevos vom belagerten Teil in den nicht belagerten Teil der Stadt gelangen, um entweder zu flüchten oder die Menschen mit Nahrung oder sonstigen Materialien zu versorgen. Der Beginn des Tunnels liegt unter dem Wohnhaus der Familie Kolar in Butmir, an dem heute noch immer ein Originalstück (ca. 20m) zu besichtigen ist. Noch immer wird diese Gedenkstätte von Familienmitgliedern betrieben. Wir hielten uns mehrere Stunden an diesem Ort auf und konnten so nochmal ganz tief in die Geschichte der Stadt eintauchen. Wir waren wirklich berührt.

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Nach diesem eindrucksvollen Besuch fuhren wir weiter Richtung Stadt. An unserer Wohnung angekommen, parkten und stiegen wir aus, um unsere wichtigsten Sachen zu packen, als uns eine nette Stimme auf deutsch ansprach: „Osnabrück! Das kenne ich!“ Ein älterer, feiner Herr stand neben uns, blickte auf unser Autokennzeichen und freute sich offensichtlich, uns in seiner Stadt zu sehen. Wir kamen kurz ins Gespräch, er erzählte uns, dass er 40 Jahre lang in Deutschland gelebt und gearbeitet hätte und nun im Alter in seine geliebte Heimat zurückgekehrt ist. Auf die Frage, ob wir das Auto in den engen Gassen stehenlassen könnten, antworte er dass das grundsätzlich kein Problem sei. Die Polizei käme nichtmal zu Notfällen (okay, er sagte tatsächlich „Morden“) her, sagte er humorvoll. Doch wenn er sich unser auffälliges Auto so ansehe, würde er uns davon abraten, einen unbewachten Parkplatz auszuwählen. „Auf dem Balkan sind viel zu viele Gauner unterwegs!“ Wir wollten nicht ausprobieren, ob er mit seiner Annahme vielleicht falsch liegt und nutzten einen teuren, bewachten Parkplatz in der Stadt. So ist das leider mit den Städtebesuchen auf Reisen. Am Abend nutzten wir die Gelegenheit, in Sarajevo‘s Nachtleben einzutauchen und uns mit Julians Bruder Jannis und seinem Kumpel Gerrit, die während ihrer Semesterferien ebenfalls einen längeren Interrail-Trip unternehmen, zu treffen. Noch einen weiteren Tag verbrachten wir in unserer Lieblingsstadt des Landes und besichtigten sowohl die mittlerweile vom Wald eingenommene Bob-Bahn, die für die olympischen Spiele im Jahre 1984 errichtet wurde als auch auf dem Rückweg eines der riesigen Massengräber in der Stadt. All diese historischen Erinnerungen noch immer im Stadtbild Sarajevos erkennen und damit genau nachvollziehen zu können, macht die Stadt für uns so besonders. 

Bosnien und Herzegowina ist trotz unserer bislang noch gar nicht so langen Reise ein echtes Highlight. Sicher findet man als „verwöhnter Deutscher“ nicht all die Standards vor, die wir gewöhnt sind. Häuser sind für viele Einheimische dann fertig, wenn Fenster und Türen eingesetzt sind. Da stört es dann auch nicht, wenn der Putz noch nicht an den Wänden ist. Genauso findet man viele wunderschöne Orte vor, an denen unglaublich viel Müll abgeladen wurde. Auch das ist Bosnien-Herzegowina. Nichtsdestotrotz, die Historie, die Menschen, die Kultur und Natur des Landes haben uns von Beginn an fasziniert und wir sind froh, dass wir uns die Zeit genommen haben, in all diese Bereiche einzutauchen und ebenso zu verstehen, wie es zu all den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit gekommen ist.

Um Rumänien im September und damit zu seiner besten Reisezeit zu erreichen, entschlossen wir uns, mit wenigen Stops über Serbien zu fahren. Lediglich ein Tag im Nationalpark Tara und ein Besuch der Hauptstadt Belgrad waren geplant. Und sagen wir so: kann man hinfahren, muss man aber nicht. Unsere wenigen Erfahrungen im Land haben uns jedenfalls nicht auf Anhieb überzeugt, um es vorsichtig auszudrücken. Vielleicht waren wir gedanklich aber auch schon so von unserer Rumänien-Vorfreude gefesselt, dass ein weiteres Land gerade keinen Platz hatte. Unser Tag im Nationalpark brachte auch keine klare Sicht, was nicht an uns, sondern am nebeligen Wetter lag. Jedenfalls konnten wir am sogenannten „Aussichtspunkt“ nicht besonders viel erkennen. Auch wenn unsere Recherchen versprachen, hier ein tolles Panorama vorzufinden. Aber dafür kann das Land ja nichts. Eine letzte Chance wollten wir Serbien mit seiner Hauptstadt Belgrad aber noch geben. Doch auch hier trafen wir auf eine sehr triste Stadt mit vielen alten Gebäuden und auch hier scheint man nicht ganz genau zu wissen, wozu Mülleimer gut sind. Immerhin hatten wir stadteinwärts mal wieder das „Vergnügen“ eine chinesische Autobahn zu befahren, was jedoch auch keine Pluspunkte brachte. Nach zwei kurzen Tagen beendeten wir unseren Zwischenstop und machten uns auf einer wunderschönen Straßenroute entlang der Donau auf den Weg nach Rumänien. Das Land, aus dem wir uns dann in wenigen Wochen wieder melden werden.

Route in Bosnien & Herzegowina + Serbien, Stand 26.08.2021. Quelle: Gaia GPS / MapBox / Open Street Map.

Route in Bosnien & Herzegowina + Serbien, Stand 26.08.2021. Quelle: Gaia GPS / MapBox / Open Street Map.

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Urlaub vom Reisen.